August Menz,  Modell Liliput, Schreckschuss


Vorbemerkung: Im April 2021 hatte ich hier bereits über die Pistolen Modell Liliput des Herstellers August Menz berichtet. Neben den Waffen in 6,35 mm Browning und 7,65 mm Browning finden sich auch Schreckschussmodelle zum Verschießen von 6,35 mm Browning Patronen mit Papiergeschoss.

Ich hatte nun die Gelegenheit einige Patronen mit Papiergeschoss zu erwerben und präsentiere daher eine tiefere Einsicht in die Entwicklung der Liliput Selbstlade-Schreckschusspistole und der Hintergründe für deren Einführung.


August Menz und seine Schreckschusspistolen


August Menz wurde 1861 geboren und verdiente sein Geld zunächst ais Mechaniker und Systemmacher. Im Jahr 1905 gründete er eine eigene Firma und verdingte sich zunächst als Zulieferer für die Waffenbranche. 1908 brachte er dann seine erste eigene Pistole auf den Markt, die Regnum. Dabei handelt es sich um eine Kipplaufpistole mit vier übereinander liegenden Läufen im Kaliber 6,35 mm Browning. Angesichts der sich schon am Markt befindlichen Selbstlade-Taschenpistolen war der Erfolg dieser Waffe jedoch gering. 1911 entwickelte Menz ein fast identisches Modell als sogenannte Scheintodpistole, die aus drei übereinander liegenden Läufen Gaspatronen im Kaliber 12 mm verschoss (DRGM 4718715). Im Jahr 1913 kam dann eine erste Selbstladepistole
im Kaliber 6,35 mm Browning auf den Markt, die Menta (Menz-Taschenpistole). Wenig später, noch vor dem Ersten Weltkrieg, folgte ein vergrößertes Modell im Kaliber 7,65 mm Browning. Am 6. September 1918 starb August Menz. Sein Sohn Alfred, geboren 1886, führte die Geschäfte fort. Der Name der Firma blieb.

Ab März 1924 bot Menz eine Pistole unter dem Namen "Liliput" im Kaliber 6,35 mm Browning an. Dann ab 1925 folgte eine Version im Kaliber 4,25 mm, später 7,65 mm Browning.

Am 12. April 1928 verabschiedete das Deutschen Reich das neue Reichswaffengesetz, das nun eine Registrierpflicht für die meisten Waffen beinhaltete. Dies hatte deutliche, negative Auswirkung auf den Absatz scharfer Taschenpistolen. Und so berichtet das zweiwöchtlich erscheinende Magazin "Der Waffenschmied" anlässlich des 25-jährigen Firmenjubiläums der Firma Menz, dass Menz infolge des neuen Gesetzes gezwungen sei, sich verstärkt auf erwerbsscheinfreie Schreckschusswaffen zu konzentrieren. In der Folge bot Menz eine Vielzahl von Schreckschuss- und Gaswaffen an. Unter anderem finden sich schießende Taschenlampen, Schlüssel oder Stifte, Schießstöcke uva. 


Werbeanzeige für die Menz Schreckschuss- und Gaswaffen vom 14. Dezember 1931

Am 14. Mai 1932 berichtet "Der Waffenschmied" von verschiedenen Neuheiten der Firma Menz, unter anderem auch einer neuen Schreckschusspistole:


Die Firma Aug. Menz, Suhl, bringt wiederum drei Neuheiten in waffenscheinfreien Pistolen heraus: welche guten Anklang bzw. Absatz finden werden.
1. ...
2. das Vollkommenste auf dem Gebiet der Schreckschußwaffen ist die neue Original Liliput-Selbstlade-Schreckschußpistole Kaliber 6,35 mm. Dieselbe arbeitet vollständig automatisch, hat normales Patronenmagazin für 6 oder 8 Patronen mit Papierkugel. Die Pistole ist so konstruiert und durch Bohrungen und Aushöhlungen so gearbeitet, daß, wenn der Versuch gemacht würde, dieselbe zu einer Scharfschußwaffe umzuarbeiten, diese beim ersten Schuß zerspringt. Bei einem in der Fabrik gemachten Versuch, aus solcher Pistole einen scharfen Schuß abzugeben, zersprang der Lauf mit dem Schlitten beim ersten Schuß. Durch sofort ersichtlichen Aufdruck auf den Schlitten "Nur für Schreckschußpatronen" ist jeder Schütze gewarnt! Es ist weiter ausprobiert worden, daß die Papierkugel der zu benutzenden Patrone schon bei der entstehenden Explosion verbrennt, da das Pulver bis zur Spitze der Kugel, die übrigens nur einige Zehntel Millimeter stark ist, geladen ist. Die Papierkugel wird beim Schießen durch eine schräge Offnung, die am Ende des Laufes ausmündet, nach oben geleitet, d. h. nur die noch vorhandenen Überreste, die nicht mal ein Zeitungspapier durchzuschlagen vermögen, also vollständig gefahrlos sind. Durch das Aussehen und Funktionieren wie eine richtige Selbstladepistole wird der Gegner beim Schießen so verblüfft, daß er keinen Widerstand mehr leistet. Da der Preis nur die Hälfte einer Selbstladepistole beträgt, wird auch damit ein guter Absatz zu erzielen sein. Nach Prüfung der Pistole schreibt die Polizeidirektion Suhl: Die Schreckschußpistole 6,35 mm ist hier geprüft und aus derselben geschossen worden. Auf ganz kurze Entfernung (20 cm) war auf dem Ziel von den zerstäubten Papierkugeln nichts zu sehen. Eine Treffsicherheit mit dieser Pistole ist nicht gewährleistet, weil die Mündung nach oben schräg ausgearbeitet ist. Beim Verfeuern von scharfen Patronen würde durch die Konstruktion der Lauf zerspringen und den Schützen sehr gefährden. Bedenken gegen die Einführung als Schreckschußpistole bestehen hier nicht. Die Pistole ist durch die Aufschrift "Nur für Schreckschußpatronen" bezeichnet.

3. ...

Alle Waffen sind durch DRGM. mehrmals geschützt. - Sie erhalten weitere Lektüre durch Ihren Grossisten oder die Firma Aug. Menz-Suhl, Postfach 38.


Es handelt sich bei dem erwähnten Gebrauchsmuster vermutlich um das DRGM 1220936 "Selbstladeschreckschuß bzw. Gaswaffe mit Patronenmagazin". Der Waffenschmied vom 14. September 1932 berichtet von dessen Registrierung durch die Fa. August Menz. Da jedoch die Gebrauchsmuster - im Gegensatz zu den Patenten - nicht erhalten sind, kann dies nicht mit Sicherheit gesagt werden.

Werbeanzeige für die Menz "Liliput"-Selbstlade-Schreckschusspistole vom 14. März 1932

Technische Details von Waffe und Munition


Im vergleich zu den scharfen Liliput Pistolen, sind die Schreckschusspistolen zusätzlich auf der linken Seite wie folgt beschriftet:

Nur für Schreckschuss-Patr. Cal. 6,35


Äußerlich sieht die Schreckschusspistole der scharfen Liliput Pistole zum Verwechseln ähnlich. Griffschalen, Magazin und Kleinteile sind in den Abmessungen identisch und prinzipiell austauschbar. Das Verschlussstück ist - bis auf die Beschriftung - und Lauf identisch zur scharfen Pistole.

Es finden sich drei Varianten der Schreckschusspistole. Frühe Pistolen haben eine ,,scharfe" Mündung, die etwas in den Schlitten hinein reicht und keine Verbindung zum Patronenlager hat. Spätere Pistolen haben dort wo die Mündung liegt nur drei kleine Bohrungen. Auch sind Pistolen bekannt, die vorne, dort wo die Mündung sein sollte, einfach geschlossen sind. Gemeinsam ist allen Varianten der abgeschrägte Einschnitt im Lauf, an dem die Papierreste des abgefeuerten Geschosses nach oben abgelenkt werden.


Die vorliegende Pistole hat vorne im Mündungsbereich im Lauf seitlich zwei kalibergroße Bohrungen. Hinter dem Patronenlager befindet sich eine von oben in die Laufbahn eingeschraubte Madenschraube. Es sind auch Pistolen bekannt, die diese Bohrungen und die Madenschraube nicht haben. Eine scharfe Patrone 6,35 mm Browning kann zwar geladen werden, doch es besteht keine durchgehende Laufbohrung. Der Versuch, eine solche Patrone zu verschießen, würde zu einer Waffenzerstörung führen. Die Zuführrampe ist gegenüber einer scharfen Liliput Pistole etwas breiter ausgeführt, sodass die Papierpatronen mit dem unleichförmigen Geschoss besser zugeführt werden.


Die vorliegenden Patronen der Firma RWS im Kaliber 6,35 mm Browning weisen eine Messinghülse auf und besitzen ein Geschoss aus gepresstem Papier, das mit einer roten Lackschicht überzogen ist. Der Bodenstempel lautet RWS 6,35. Die Munition wurde in zeitgenössischen Katalogen (bspw. WUM, 1932) zum Preis von 25$ je tausend Patronen angeboten. Zum Vergleich: scharfe Patronen 6,35 mm Browning kosteten 16$ je Tausend.


Fazit:

Geschichte wiederholt sich. Wir sehen bei Menz um 1930 eine Entwicklung, wie wir sie später in der  Bundesrepublik in den 1970er und 1980er sahen. Eine restriktiveres Waffengesetz führte zu einem Boom im Bereich der Schreckschusswaffen. Was lag also für Hersteller näher, als auf die Waffen aus scharfer Produktion zurückzugreifen und parallel daraus ein Schreckschussmodell zu entwickeln. Wir sehen dies bzw. bei den Waffen von Reck, Röhner & Co, die neben Schreckschusswaffen auch scharfe Versionen anboten. Menz hat in den 1930er Jahren mit dem Ausschuss nach oben eine Lösung gefunden, sodass scharfe Patronen definitiv nicht aus dieser Waffe abgefeuert werden können.


Ansicht der Mündung und des Einschnitts.

Schwer zu erkennen, die Madenschraube hinter dem Patronenlager


Liliput

6,35 mm

Schreckschuss

Länge

104 mm

Lauflänge

51 mm

Höhe

70 mm

Breite

20 mm

Gewicht

270 g

Magazinkapazität

6

Abmessungen der Schreckschusspistole

Menz Liliput Schreckschuss links
Menz Liliput Schreckschuss links
Klar zu erkennen.. Hier dürfen keine scharfen Patronen geladen werden.
Menz Liliput Schreckschuss rechts
Menz Liliput Schreckschuss rechts
Ansicht rechte. Von dieser Seite könnte es eine normale Liliput Pistole sein.
Menz Liliput Schreckschuss links
Menz Liliput Schreckschuss links
Gut sichtbar: die Bohrung im Lauf
Menz Schreckschuss zerlegt rechts
Menz Schreckschuss zerlegt rechts
Auch auf der rechten Seite eine Bohrung im Lauf
Vergleich Liliput
Vergleich Liliput
Zum Vergleich eine scharfe Liliput oben, die Schreckschusspistole unten.
Preisliste für Schreckschussmunition
Preisliste für Schreckschussmunition
Der Preis von 25$ versteht sich je tausend Patronen.
Platzpatronen
Platzpatronen
Platzpatronen mit Papiergeschoss und rotem Lacküberzug.
Bodenstempel Platzpatrone
Bodenstempel Platzpatrone
Bodenstempel der Patrone. Hersteller RWS,
Vergleich Patronen
Vergleich Patronen
Links eine scharfe 6,35 mm Browning, rechts eine Patrone mit Papiergeschoss.