Lepage Taschenpistole im Kaliber 7,65 mm Browning


Vorbemerkung:

Im Magazin Waffenfreund 3/2024 des Verbandes für Waffentechnik und -geschichte e.V. veröffentlichte mein Sammler- und Sachverständigenkollege Wolfgang Kern einen Artikel zu zwei Pistolen-Prototypen im Kaliber 9mm Browning long der belgischen Firma Manufacture D'Armes Lepage SA aus Lüttich. Beide Prototypen basierten auf dem belgischen Patent Nr. 305626 und wurden für die Neubewaffnung der belgischen Polizei konzipiert, so der Autor. Die Pistolen gingen aber wohl nie in Serie.

Tatsächlich bot Lepage aber eine Pistole nach dem vorgenannten Patent als Serienfertigung an; jedoch nicht in 9mm Browning long, sondern im Kaliber 7,65 mm Browning. Und um diese Pistole soll es im Folgenden gehen.


Geschichte der Manufacture D'Armes Lepage, SA

Die belgische Waffenmanufaktur Lepage wurde bereits 1790 gegründet und produzierte nach der belgischen Revolution 1830 vor allem für die Armee. Um die Jahrhundertwende war Lepage bekannt für seine militärischen Revolver. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Firma in eine Kapitalgesellschaft unter dem Namen Manufacture D'Armes Lepage umgewandelt. Lepage produzierte in den 1920er Jahren eine breite Palette von Lang- und Kurzwaffen, dabei auch Selbstladepistolen unter anderem in den Kalibern 6,35 mm Browning und 7,65 mm Browning.


Beschreibung

Bei der Lepage Pistole handelt es sich auf den ersten Blick um eine einfache Selbstladepistole im Kaliber 7,65 mm Browning mit Masse-Verschluss und außenliegendem Schlagstückschloss.

Der Lauf ist mit dem Griffstück verstiftet und liegt auf der gesamten Länge frei. Der Auszieher befindet sich auf der Oberseite des Griffstücks in der Visierrille. Befindet sich eine Patrone im Patronenlager, so steht der Auszieher leicht nach oben heraus und dient als Ladestandanzeiger. Die Sicherung ist als Drehhebel hinten links am Griffstück angeordnet.

Die Griffschalen bestehen aus Hartgummi und sind mit jeweils zwei Schrauben am Griffstück befestigt. Das Magazin fasst sechs Patronen, der Magazinhalter befindet sich an der Unterseite des Griffstücks.


Die seitliche Beschriftung links auf dem Verschlussstück lautet:

MANUFACTURE D'ARMES LEPAGE, LIEGE BELGIQUE

CAL. 7,65 BREVETE No 305626


Für eine Pistole aus den 1920er-Jahren wirkt die Waffe mit ihren klaren, scharfen Linien und den Fingermulden im Griffstück sehr modern. 


Spannend ist jedoch das Innenleben der Pistole, wie nachfolgend im Patent beschrieben.


Illustration des Lepage Werks in Lüttich, um 1920

Lepage Pistole im Kaliber 7,65 mm Browning


Patent

Das belgische Patent Nr. 305636 wurde am 30. August 1922 eingereicht. Wolfgang Kern beschreibt dieses Patent in seinem Artikel ausführlich und zeigt auch einige Patentzeichnungen. Leider liegt mir das belgische Patent im Original nicht vor. Lepage hat seine Erfindung aber auch in anderen Ländern geschützt und das französische Patent Nr. 599760, Pistolet Automatique, eingereicht 15. Juni 1925, ist verfügbar. Ich gehe davon aus, dass es inhaltlich identisch ist, denn sogar die Patentzeichnungen sind identisch zum belgischen Patent.


Das Patent beschreibt im Wesentlichen drei Aspekte. 

  • Der gesamte Mechanismus, d.h. Hahn, Sicherung, Magazinauslöser und sämtliche Federn sind in einem herausnehmbaren Gehäuse am Griffrücken untergebracht (s. nachstehende Patenzeichnung, Fig. 3). Das Gehäuse wird oben durch die Achse des Sicherungshebels und unten durch eine Schraube gehalten. Der obere Teil des Gehäuses ist dabei derart gestaltet, dass es die Führungen des Griffstücks fortsetzt. Das Verschlussstück kann nur abgenommen werden, wenn das Gehäuse nach hinten ausgeschwenkt wird.
  • Die Lepage hat keine Abzugsstange. Beim Betätigen des Abzugs drückt ein im Griffstück befindlicher Hebel (Fig. 4, Nr. 7) gegen die Vorderseite des Magazins, das im Magazinschacht leicht beweglich gelagert ist. Das Magazin überträgt den Druck des Abzugs auf eine unter Federspannung stehende, aus dem herausnehmbaren Gehäuse leicht in Schussrichtung vorstehende Nase der Hahnklinke (Fig. 1, Nr. 19) und löst so den Schuss aus.
  • Der Sicherungsmechanismus ist komplex. Zum einen wird bei entferntem Magazin der Druck des Abzugs nicht übertragen. Eine versehentlich im Patronenlager vergessene Patrone kann so nicht abgefeuert werden. Führt man das Magazin ein und stellt damit die Verbindung zur Nase der Hahnklinke wieder her, ist der Schlaghahn weiterhin gesperrt. Erst ein erneutes Fertigladen lässt wieder ein Auslösen des Hahns zu. So wird sichergestellt, dass auch eine - vermeintlich - teilgeladene Pistole nicht versehentlich abgefeuert werden kann. Darüber hinaus sperrt bei fertiggeladener und gespannter Waffe die Hebelsicherung den Hahn.


Patenzeichnungen des französischen Patents 599760 von 1925.


Fazit:

Die Lepage Pistole ist eine faszinierende Konstruktion. Durchdacht und einfach gehalten, in der Form äußerst ansprechend. Über Fertigungszahlen ist mir nichts bekannt. Auf dem Sammlermarkt taucht die Pistole gelegentlich auf.

Eine ähnliche Konstruktion mit einem herausnehmbaren Gehäuse, das die gesamte Mechanik enthält, kenne ich im Bereich der Taschenpistolen erst wieder einige Jahre später bei der Kobra-Pistole von Walther Diefke. Warum die Lepage keinen größeren kommerziellen Erfolg erzielte, ist unklar. Möglicherweise wurde sie bei den Nutzern als "übersichert" angesehen. Und auch die Tatsache, dass die Waffe nur mit Magazin überhaupt funktionsfähig ist, mag den ein oder anderen Nutzer abgeschreckt haben. Und sicherlich wäre es auch spannend, Versuche zur Fallsicherheit zu machen, denn mit etwas Pech und dem falschen Auftreffwinkel, reicht möglicherweise auch bereits die Trägheit des Magazins aus, einen Schuss auszulösen.


Abmessungen:


Länge

Lauflänge

Höhe

Breite

Gewicht

Kaliber

Magazinkapazität

Lepage

150 mm

91 mm

100 mm

26 mm

630 g

7,65 mm Browning

6

Le Page links
Eine formschöne Pistole mit klaren Linien und gutem Griff.
Le Page rechts
Die Kunststoffgriffschalen verweisen auf den Hersteller
Le Page zerlegt
Wenige Teile: rechts das Gehäuse, das sämtliche Mechanik enthält. Das Griffstück ist ansonsten leer, bis auf den Abzug.
Le Page Hebel im Magazinschacht
Sichtbar der Hebel im Magazinschacht, der den Druck des Abzugs auf das Magazin überträgt.
Le Page Beschriftung Verschlussstück
Die Beschriftung auf dem Verschlussstück verweist auf das belgische Patent.
Le Page Verschlussstück unten
Verschlussstück von unten. Im Innenleben der Pistole finden sich reichlich Bearbeitungsspuren.
Le Page Stoßboden
Blick auf den Stoßboden und den oben liegenden Auszieher.
Le Page Auszieher
Blick von oben auf den Auszieher, der in der Visierrille liegt.
Le Page Gehäuse Seite
Blick von der Seite auf das Gehäuse. Es enthält Hahn, Sicherung, sämtliche Federn und den Magazinhalter. Der rote Pfeil zeigt die Nase der Hahnklinke.
Le Page Gehäuse
Blick in das Gehäuse. Alles ist sauber und kompakt verbaut.