Die Theorie
Die Abmessungen von Taschenpistolen mit Feder-Masse-Verschluss sind physikalischen Grenzen unterworfen. Der Rücklauf des Schlittens oder Verschlussstücks im Schuss muss so langsam vonstatten gehen, dass der Gasdruck im Patronenlager auf ein ungefährliches Maß sinken kann, bevor der Verschluss öffnet. Andernfalls kann der zu hohe Druck zu Schäden im System führen und den Schützen gefährden. Die Größen zur Steuerung der Öffnungsgeschwindigkeit des Verschlusses sind dessen Masse und die Schließfederkraft. Günstigenfalls findet der Konstrukteur ein Verhältnis beider Größen, mit denen die Pistole nicht zu schwer wird und auch noch von weniger kräftigen Schützen fertiggeladen werden kann.
Die Lösung
Fritz Mann musste also eine Möglichkeit finden, den Verschlussrücklauf abseits der Faktoren Verschlussmasse und Federkraft zu steuern. Mit dem deutschen Reichspatent (DRP) Nr. 334098 "Anordnung zum Bremsen der Verschlussbewegung bei Rückstossladern mit festem Lauf" vom 4. März 1920 präsentierte er eine solche Lösung.
Werbeanzeige aus der Zeitschrift "Der Waffenschmied" vom 25. Juni 1920.
Fritz Mann Taschenpistole, Modell 20 und 21
Die Fritz Mann Feinmaschinen-, Waffen- und Werkzeugfabrik wurde 1896 im thüringischen Suhl-Neundorf gegründet. Fritz Mann, sein Bruder Otto und sein Sohn Willi waren umtriebige Erfinder und erhielten Patente für Ski-Bindungen, Kettensägen, Motoren oder Sturzhelme. In den 1930er Jahren ließ Fritz Mann vom Waffen- und Maschinenbau ab und 1938 wurde die Firma schlussendlich liquidiert.
Im Juli 1920 präsentierte Fritz Mann eine kleine Taschenpistole im Kaliber 6,35 mm Browning, die sich mit rund 240 g Gewicht als deutlich kleiner und leichter als die zeitgenössische Konkurrenz erwies. So wog die Haenel Schmeisser Modell 1 rund 390 g und damit rund 60 % mehr. Doch wie konnte das gelingen?
Patentzeichnung DRP 332281 vom 17. März 1920
Kern des Patents ist eine rund 3 mm breite und 0,1 mm tiefe, umlaufende, angefaste Nut im Patronenlager. Im Schuss fließt das Hülsenmaterial kurzzeitig in diese Ringnut, wodurch sich die Hülse im Lager verstemmt und der Verschluss zunächst diesen Widerstand überwinden muss. Dies reichte als Verzögerung aus und reduzierte die notwendige Verschlussmasse gegenüber der Konkurrenz um rund die Hälfte. Manns Lösung hat jedoch einen entscheidenden Nachteil: Die Sicherheit der Waffe basiert auf der Hoffnung, dass das Hülsenmaterial auch tatsächlich in die Ringnut hinein fließt. Sprödes Messing, Stahlhülsen oder ein verdrecktes Patronenlager können zum Versagen des Mechanismus führen.
Ebenso innovativ war die Art der Laufbefestigung. Mit DRP Nr. 332281 vom 17. März 1920 "Rückstoßladepistole mit nicht verriegeltem Verschluss" beschreibt Fritz Mann einen Bayonettverschluss, der die einfache Entnahme des Laufs zur Reinigung oder zum Austausch mit einem 150 mm langen Trainingslauf im Kaliber 6,35 mm Browning bzw. 4mm M20 ermöglichte. Der Lauf hat dazu im vorderen Drittel warzenartige Ansätze, die mittels einer Drehbewegung in Nuten im Rahmen eingreifen. Die Drehrichtung zum Lösen des Laufs ist dabei entgegen dem Drehimpuls gewählt, der beim Schuss beim Eintritt des Geschosses in die Züge entsteht. Im geschlossenen Zustand liegt ein Fortsatz am Patronenlager am Verschluss an und verhindert damit ein Verdrehen. Zur Entnahme des Laufs genügt es demnach, den Verschluss wenige Millimeter nach hinten zu ziehen, den Lauf an der geriffelten Fläche zu fassen, zu drehen und ihn dann nach vorne zu entnehmen.
Anzeige aus dem Waffenschmied vom 25. Mai 1921
Doch Manns Pistole weist auch noch andere Finessen auf. Das DRP 345118 vom 30. März 1920 beschreibt die Sicherung, die einerseits den Abzug blockiert und andererseits die Abzugsstange nach unten ausschwenkt und festlegt, sodass diese auch bei einem versehentlichen Sturz nicht den Abzugsstollen erreichen kann. Die mangelnde Fallsicherheit war einer der Gründe, warum Taschenpistolen damals üblicherweise unterladen geführt wurden.
Um die Pistole insgesamt zu verschlanken wurde der Magazinauslöseknopf auf der nach vorne gewandten Griffseite angebracht und versenkt, sodass dieser nicht versehentlich bei Fassen der Pistole ausgelöst wird. Das Lösen des Magazins wird dadurch zu einer Fummelei und zudem muss der Schütze seinen Griff lösen oder sogar umgreifen. Mit fertig geladener Waffe schwenkt er dabei möglicherweise unbewusst aus einer sicheren Richtung - nicht ideal.
Das Modell 20 hat auf der rechten Seite unterhalb des Patronenlagers einen Ladeanzeiger. Dieser besteht aus einer Blattfeder mit einem Stift an deren oberem Ende, der die Feder nach außen drückt, wenn sich eine Hülse im Patronenlager befindet. Dieser Ladestandsanzeiger entfällt beim Ende Mai 1921 eingeführten Modell 21. Dort wird der Ladezustand über einen Anzeigestift auf der linken Seite angezeigt, der gleichzeitig den Sicherungsflügel in der "Sicher"-Position festlegt. Dies sollte verhindern, dass sich "der Sicherungsflügel beim Tragen in der Tasche usw. nicht leicht von selbst lösen kann", so die Erläuterungen zum DRP 361248 vom 15. Juni 1921.
Weitere Änderungen beim Modell 21 sind:
Die Unterscheidung der Modelle machte Fritz Mann auf einfache Weise möglich. Hinter der Seriennummer, die unterhalb des Magazinauslöseknopfs angebracht ist, findet sich entweder das Suffix "20" oder "21".
Insgesamt finden sich fünf Varianten der linksseitigen Beschriftung (Angabe in chronologischer Reihenfolge).
Modell 20
Model 21
Darüber hinaus ist eine sehr frühe Pistole (SN 35-20) bekannt, die eine Exportkennzeichnung PATENTED MADE IN GERMANY aufweist.
Die Mann Taschenpistolen-Modelle 20 und 21 sind insgesamt sehr schöne, führige und äußerst leichte Pistolen. Doch eben das führte auch dazu, dass die Waffen konstruktionsbedingt sehr schnell an ihre Funktionsgrenzen kommen, ja möglicherweise sogar gefährlich für den Schützen sein können. Diese Probleme konnte auch Fritz Mann nicht verschweigen. Bemerkenswert ist deshalb die nebenstehende Anzeige Fritz Manns, wonach das Modell 20 die Werbeversprechen aufgrund "unzähliger, durch das bis aufs äußerste reduzierte Gewicht verursachter Tücken leider nicht immer" halten konnte.
Ein solches Eingeständnis ist für den Ruf einer Pistole natürlich vernichtend und so verwundert es nicht, dass sich bereits ab 1923 keine Werbung für oder Hinweise auf die Mann Taschenpistole mehr zu finden sind. Erst 1924 bringt Mann erneut eine Taschenpistole - nun im Kaliber 7,65 mm Browning - auf den Markt, die aber deutlich größere Abmessungen aufweist.
Die Gesamtzahl an produzierten Pistolen Modell 20 und 21 ist nicht bekannt. Verschiedene Quellen nennen etwa 20.000 als realistische Größe. Dennoch finden sich Pistolen mit deutlich höheren Seriennummern. Die Gründe hierfür sind unbekannt. Nicht unüblich war es, zur "Schönung" von Produktionszahlen Seriennummern auszulassen, um damit die Pistole erfolgreicher erscheinen zu lassen.
Höhe | 69 mm | Kaliber | 6,35 mm Browning | Stückzahl | um 20.000 |
Breite | 18 mm | Gewicht | 240 g / 230 g | Seriennummernbereich | 1 - ungefähr 36000 |
Länge | 104 mm | Magazinkapazität | 5 Patronen | ||
Lauflänge | 43 mm | Bauzeit | 1920 bis 1922 |
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