Fabrique Nationale d'Armes de Guerre (FN), Modell 1906


Vorbemerkung:

Ich verweise vorab auf das hervorragende Buch FN Browning Pistols von Anthony Vanderlinden, das eine "Pflichtlektüre" für alle an FN interessierten Sammler sein sollte. Die Informationen in diesem Artikel basieren im Wesentlichen auf Vanderlindens Buch, weiterführender Literatur, Patenten und eigenen Beobachtungen.


Geschichte der Fabrique National d'Armes de Guerre

Die Firma Fabrique Nationale d'Armes de Guerre (FN) wurde am 3. Juli 1889 als Konsortium verschiedener Anteilseigner aus der Waffenbranche zur Erlangung und Abarbeitung eines großen belgischen Armeeauftrags über 150.000 Repetiergewehre gegründet. Zu den Gründern gehörten bekannte Namen wie Henri Pieper oder Auguste Francotte und nur wenige Tage nach Gründung erhielt FN den Zuschlag für den Armeeauftrag. Ende 1894 war der Auftrag abgearbeitet und FN hatte weltweit einen hervorragenden Ruf. 1896 erwarb die deutsche Ludwig Löwe & Co., zu der auch die Mauser Waffenwerke gehörten, Mehrheitsanteile von FN und arbeite nun konsequent daran, die belgische Konkurrenz im Militärwaffenbereich zu marginalisieren. Aufgrund der infolge dessen mangelhaften Auslastung erweiterte FN seine Produktpalette um Zivilwaffen und Fahrräder. Über letztere kam die Firma in Kontakt mit John Moses Browning und so folgte ab Juli 1897 eine Zusammenarbeit im Waffenbau, bei der FN Browningkonstruktionen in Lizenz herstellte. Mit der FN 1899 und FN 1900 im Kaliber 7,65 mm Browning und der der FN 1903 im Kaliber 9 mm Browning long war der Weg für eine erfolgreiche Zusammenarbeit gelegt. Ein weiterer Coup gelang mit dem Modell 1905/06 im neuen Kaliber 6,35 mm Browning, um die es hier im Folgenden gehen soll. Ab 1907 sicherte sich FN die Rechte am Markennamen "Browning". Automatische "Browning Pistolen" kamen fortan nur noch aus Belgien.


Die FN 1906 gilt als der Urvater kleiner Taschenpistolen und der "Trendsetter" für das Kaliber 6,35 mm Browning, dem sich die Konkurrenz nicht mehr widersetzen konnte. Sie wurde fast 45 Jahre lang bis 1950 produziert. Mit Erscheinen der FN Baby ab 1931 gingen die Produktionszahlen jedoch stetig zurück. Die Millionenmarke wurde bereits um 1933 überschritten und danach wurden nur noch sporadisch FN 1906 produziert. Bis zur deutschen Besatzung 1940 wurden insgesamt rund 1.084.000 FN 1906 hergestellt. Ab 1946 bis 1950 erreichte die Produktion die höchste bekannte Seriennummer 1311256, wobei es hier viele Lücken gab. Fakt ist, dass weit über eine Million dieser kleinen Pistolen hergestellt wurden. Ein gigantischer Erfolg.


Technik und Patente


FN ließ sich bereits 1905 weltweit die Rechte für eine "Spann- und Abzugsvorrichtung für selbsttätige Pistolen" sichern (DRP 176910). Die Patentansprüche beruhen im Wesentlichen auf der Ausformung einer Blattfeder (s. Fig. 8 der Patentzeichnung), die gleichzeitig auf Abzug, Abzugsstollen, Magazinhalter und Griffsicherung wirkt.

Bei der FN 1906 handelt es sich um eine Pistole mit unverriegeltem Verschluss. Die Schließfeder ist unterhalb des Laufs angeordnet und wird über eine Federführungsstange geführt, die in einer Aussparung hinten im Griffstück gelagert ist und vorne in einer Bohrung des Schlittes läuft. Der Lauf ist mit drei Warzem im Nuten im Griffstück gehalten. Bei der Demontage wird der Schlitten so weit zurück gezogen, dass die Warzen mit Nuten im Schlitten fluchten und so der Lauf um 120 Grad verdreht werden kann. Sodann kann man den Schlitten mitsamt Lauf und Führungsstange vom Griffstück nach vorne abnehmen. Die Schlagbolzenfeder und der Führungsstift liegen an einem Gegenlager des Griffstücks an. Wird der Abzug betätigt, so wird der Druck über die Abzugsstange auf den Abzugsstollen übertragen, der sich gegen die Federkraft absenkt und damit den Schlagbolzen freigibt. In der Rückwärtsbewegung des Schlittens werden Abzugstange und Abzugsstollen entkoppelt und der Abzugstollen kann den Schlagbolzen wieder fangen. 


Im Laufe der Produktion kam es zu mehren leichten Veränderungen. Im November 1906 patentierte FN die Hebelsicherung, die ab etwa Seriennummer 130000 eingeführt wurde. Später kam noch eine Magazinsicherung hinzu. 1911, bei etwa Serinennummer 220000, erhielt der Abzugszüngel verbreiterte Flanken. 1930 wurde die Position der Beschussmarken auf dem Lauf verändert, sodass diese fortan durch das Auswurffenster sichtbar waren. Bis 1940 verwendete FN Griffschalen aus Horn, seit der deutschen Besatzung und nach dem Krieg dann Hartplastik. 

Die Pistolen wurden brüniert oder mit einem Nickel-Finish angeboten. Die Pistole wurde in einer dunkelgrünen Pappschachtel mit erhabenem FN Logo auf dem Deckel augeliefert. Dazu gab es eine Anleitung mit den Abmessungen 115x180mm und 24 Seiten. Als Putzstock diente die Federführungsstange, mit der sich ein Patch durch den Lauf schieben ließ. Werksgravierte Pistolen in Nickel-Finish oder mit Goldeinlagen sowie Elfenbein oder Perlmuttgriffschalen waren erhältlich.


Varianten


Es finden sich verschiedene Schlittenbeschriftungen:


FABRIQUE NATIONALE D’ARMES de GUERRE HERSTAL BELGIQUE
BROWNING’S PATENT

Diese wurde verwendet im ersten Produktionsjahr noch vor Erteilung des belgischen Patents. Bis in die frühen 1930er wurde folgende Beschriftung in Serifenschrift verwendet.


FABRIQUE NATIONALE D’ARMES de GUERRE HERSTAL BELGIQUE
BROWNING’S PATENT                 DEPOSE


oder serifenlos mit Bindestrich

FABRIQUE NATIONALE D’ARMES de GUERRE HERSTAL BELGIQUE
BROWNING’S PATENT-DEPOSE


oder serifenlos ohne Bindestrich

FABRIQUE NATIONALE D’ARMES de GUERRE HERSTAL BELGIQUE
BROWNING’S PATENT DEPOSE


Ab 1940 bis zum Ende der Produktion folge dann wieder einen serifenlose Variante.

FABRIQUE NATIONALE D’ARMES de GUERRE HERSTAL BELGIQUE
BROWNING’S PATENT                   DEPOSE

Werbeanzeige für die FN 1906, Waffenschmied vom 10. Juni 1907

Patentzeichnung des Deutschen Reich Patent 176910 vom 10. September 1905

Da die Art der Sicherung eine der wesentlichen Änderungen darstellt, kann man die FN 1906 in drei technische Varianten unterscheiden.

- Griffsicherung (1 bis 130000)

- Griffsicherung und Hebelsicherung (von 130000 bis 180000)

- Griff-, Hebel- und Magazinsicherung (bis Produktionsende)


Beschussmarken


Die belgischen Beschussmarken helfen bei der Datierung der FN Pistolen.

Beschussmarken auf einem Lauf einer FN 1906. Demach ist dieser Lauf bis 1924 entstanden.

R mit Krone:  verwendet auf allen Läufen bis 1924.

Löwe PV:        freiwillige Beschussmarke bis 1924, ersetzt danach R mit Krone

                        und Perron.

Perron.           Wahrzeichen von Lüttich, verwendet bis 1924.


ELG Krone:     Epreuve de Liege, Lütticher Beschuss.



Buchstabe *:  Namenszeichen des jeweiligen Beschussbeamten.

Werbeanzeige für die FN 1906, Waffenschmied vom 10. Februar 1907

Eine grobe Zuordnung vor 1924 / nach 1924 kann deshalb relativ einfach erfolgen. Der Rest muss dann aus dem Namenszeichen des Beschussbeamten und der Seriennummer geschlossen werden.


Abmessungen:


Länge

Lauflänge

Höhe

Breite

Gewicht

Magazinkapazität

Seriennummern-bereich

FN 1906

114 mm

55 mm

76 mm

23,5 mm

350 g

6

1 - 1311256

FN 1906, 1. Variante
Hier die FN 1906 in der ersten frühen Variante nur mit Griffsicherung. Hier auch gut zu sehen der schmale Abzug. Diese Pistole trägt die etwas seltenere Beschriftung in der serifenlosen Variante mit Bindestrich.
FN 1906, 2. Variante
Hier die zweite Variante mit Griff- und Hebelsicherung. Auch hier noch der schmale Abzug. Nur rund 30.000 hiervon wurden hergestellt. Die Verchromung ist vermutlich späteren Datums.
FN 1906 3. Variante
Hier eine FN 1906 in der späten Variante mit drei Sicherungen. Besonderheit hier: Es handelt sich um eine der FN 1906, die unter deutscher Besatzung von Juli bis August 1940, noch vor Ankunft deutscher Verwalter, hergestellt wurden.
FN 1906, 3. Variante langer Lauf
Hier eine späte FN 1906 mit langem Lauf, wie sie ursprünglich für den Österreichisch-Ungarischen Raum zur Umgehung einer Erwerbsscheinpflicht hergestellt wurde. Die Seriennummer dieser Pistole liegt über 1.000.000, das Produktionsjahr um 1933.
FN 1906, zerlegt
Gut sichtbar die drei Warzen des Laufs.
FN 1906, Griffstück
Hier das Griffstück einer frühen FN 1906, gut sichtbar die Nuten, in denen der Lauf drehbar verriegelt. der Abzugsstollen und das Widerlager für die Schlagbolzenfeder.
FN 1906, Horngriffschalen
Hier die Rückseite früher Horngriffschalen.
FN 1906, Kunststoffgriffschalen
Hier die Rückseite von Griffschalen aus Hartplastik, der unter deutscher Besetzung gefertigten Pistole.