Technik und Patente
Die ÖWA sicherte sich zwei Patente, die am 20. März 1920 angemeldet wurden.
Bei der ÖWA-Repetierpistole handelt es sich um eine Selbstladepistole mit Masseverschluss und Schlagstückschloss im Kaliber 6,35 mm Browning. Das Verschlussstück ist kippbar mittels einer vorne liegenden Schraube mit dem Griffstück verbunden (Patent 90770). Um das Verschlussstück abzuklappen kippt man den Lösehebel hinten am Verschlussstück nach oben. Die Welle des Lösehebel greift in eine halbmondförmige Aussparung des Widerlagers ein und fixiert so das Verschlussstück. Die Schließfeder liegt in einer Röhre oberhalb des Laufs, die Schließfederstange ist am Ende in einen Zapfen (sog. Verschlussführungsstück) eingeschraubt. Dieser Zapfen greift in eine Nut des Verschlusses ein und stellt so die Verbindung her. Der Schlaghahn wird von einer kräftigen Schraubenfeder, die senkrecht hinten im Griffstück liegt, angetrieben. Die Sicherung - zunächst als Schiebesicherung, später als Drehhebel - wirkt unmittelbar auf das Schlagstück. Das Magazin fasst 6 Patronen. Es finden sich brünierte und vernickelte Magazine, wobei vernickelte Magazine vermutlich im Laufe der Produktion zum Standard wurden. Die ÖWA-Pistole war brüniert oder vernickelt erhältlich. Die Griffschalen bestehen aus schwarzem Kunststoff und haben ein Fischhautmuster. Oben befindet sich ein linsenförmiges Medaillon mit dem Schriftzug ÖWA. Die beiden Punkte des "Ö" wandern bei späten Ausführungen der Griffschalen ins Innere des O.
Varianten
Mötz/Schuy unterscheiden zwei Varianten der ÖWA-Pistole - die frühe und späte Ausführung.
Die frühe Ausführung (1921 bis Mitte 1923) besitzt einen Sicherungsschieber auf der linken Seite oberhalb der Griffschale. Der Klapphebel zum Trennen von Griff- und Verschlussstück befindet sich auf der linken Seite. Die Kannelierung zwischen Lauf und Schließfederröhre ist lang, das Laufgehäuse seitlich glatt. Das Griffstück im Bereich des Abzugsbügels verläuft gerade. Die Griffrillen auf der Verschlusshandhabe sind schmal. Die Schriftgröße im Griffschalenmedaillon variiert.
Links auf dem Laufstück steht:
"CAL. 6,35_ARSENAL VIENNA AUSTRIA"
"PAT. I.A. KULTURSTAATEN"
Darüber finden sich die Beschusszeichen sowie das Beschussjahr. Die Seriennummer steht links vorne auf dem Griffstück.
Die späte Ausführung (Mitte 1923 bis Mitte 1924) hat eine Drehhebelsicherung links hinten am Griffstück. Es gibt unterschiedliche Formen des Sicherungshebels. Der Klapphebel zum Trennen des Verschlussstücks ist nun auf der rechten Seite angeordnet. Das Laufgehäuse wird abgestuft und die Kannelierung verkürzt. Das Griffstück oberhalb des Abzugs erhält eine runde Kontur. Die Griffrillen auf der Verschlusshandhabe werden verbreitert. Die Punkte des "Ö" sind jetzt im Inneren des O. Insgesamt ist die späte Ausführung rund 30 Gramm leichter.
Aufgrund der Konturänderung des Laufstücks fehlt der Platz für eine Beschriftung, sodass links nur noch die Beschusszeichen, Jahr und Seriennummer verbleiben. Auf der Oberseite des Laufstück steht nun:
"CAL. 6,35_ARSENAL VIENNA AUSTRIA"
Insgesamt dürften rund 40.000 ÖWA Pistolen entstanden sein. Davon rund 10.000 in der späten Ausführung. Im Wiener Beschussamt wurden exakt 32.869 Stück beschossen. Der Rest besteht aus Waffen, die ins Ausland gingen und deshalb nicht immer beschossen wurden oder solchen Waffen, die in nicht unerheblichem Umfang von Mitarbeitern (rund 1.000 Stück) gestohlen wurden. Ebenso erhielt der Republikanische Schutzbund, eine Parteiwehr der Österreichischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, illegalerweise ÖWA Pistolen, die ebenfalls nicht beschossen wurden. Laut Mötz/Schuy soll es sich um "einige tausend" Waffen gehandelt haben.
Während der eigentlichen Produktionszeit wurden nur rund 8.000 ÖWA-Pistolen verkauft. Die Waffe war für die bescheidene Qualität schlichtweg zu teuer. Ein Beleg für die schlechte Qualität ist, dass das Beschussamt in Lüttich sämtliche ÖWA-Pistolen wegen Qualitätsmängeln zurückwies. Auch das Beschussamt in Suhl konnte von einer Teillieferung von 100 Stück nur 26 maßhaltige Pistolen beschießen.
Erst nach deutlicher Preisreduzierung konnte ÖWA ab 1926 die Pistolen erfolgreich absetzen. Die letzten Waffen kamen 1929 in den Handel, sodass danach die Waffenhandelskonzession erlöschen konnte. Rund 21.000 Waffen gingen ins Ausland, davon rund 12.000 nach Deutschland und 5.650 in die USA.
Eine formale Verwendung als Dienstwaffe erfuhr die ÖWA für die Gemeindewache der Stadt Wien, die rund 1.000 Waffen ankaufte.
Fazit:
Sammler österreichischer Taschenpistolen kommen an der ÖWA nicht vorbei. Technisch ist die Geschichte der ÖWA schnell erzählt. Aus kulturgeschichtlicher Sicht spannender ist der gesamte Hintergrund der Gemeinwirtschaftlichen Anstalt - ein austromarxistisches Experiment, dem am Ende kein Erfolg vergönnt war. Misswirtschaft, hohe Produktionskosten bei minderer Qualität, Diebstahl und Unterschlagung durch Mitarbeiter sowie die gesamtwirtschaftliche Lage, hohe Inflation und politische Instabilität erzeugten keine gute Gemengelage. Und so fand die ÖWA-Pistole erst dadurch größere Verbreitung, indem die Waffen im Zuge der Liquidierung des Unternehmens für kleines Geld verramscht wurden.
Technische Daten
Patentzeichnung des Österreichischen Patents 90770 vom 15. Juni 1922.
Patentzeichnung des Österreichischen Patents 94502 vom 10. Oktober 1923.
Erstmals wird die ÖWA-Pistole im Magazin Der Waffenschmied am 25.12.1922 erwähnt.
Abgebildet wird die ÖWA-Pistole im Magazin Der Waffenschmied erstmals am 25.01.1923. Es handele sich um die "verläßlichste und modernste Verteidigungswaffe der Neuzeit".
Schnittzeichnung der ÖWA-Pistole gemäß Bedienungsanleitung
Explosionszeichnung der ÖWA-Pistole
Teileliste zur Explosionszeichnung der ÖWA-Pistole
ÖWA-Repetierpistole im Kaliber 6,35 mm Browning
Vorbemerkung: Sammlern österreichischer Taschenpistolen empfehle ich die hervorragenden Bücher von Josef Mötz und Joschi Schuy "Vom Ursprung der Selbstladepistole" (Band 1) und "Weiterentwicklung der Selbstladepistole" (Band 2). Dieser Artikel basiert auf Informationen aus diesen beiden Bänden, eigenen Recherchen und der Untersuchung von Realstücken.
Geschichte der Österreichische Werke, Gemeinwirtschaftliche Anstalt (ÖWA)
Das Ende des Ersten Weltkriegs brachte die Österreichischen Werke Arsenal in finanzielle Schwierigkeiten. Mit über 20.000 Beschäftigten in 18 Fabriken - unter militärischer Verwaltung - war das Unternehmen für die nahezu auf Null gefallene Rüstungsnachfrage viel zu groß geworden. Und so sank bereits 1919 die Zahl der Arbeiter auf rund 3.000. Die Kommission für Kriegs- und Übergangswirtschaft hatte eigentlich die Zerschlagung des Unternehmens und Umstellung auf Friedenswirtschaft empfohlen, doch die Arbeiter opponierten. Also gründete man in der revolutionär aufgeheizten Stimmung der Nachkriegsjahre auf Vorschlag von Otto Bauer, einem sozialdemokratischen Politiker und Begründer des Austromarxismus, eine Gemeinwirtschaftliche Anstalt. Diese Unternehmensform war aufgesetzt nach dem Vorbild einer Aktiengesellschaft. Die Hauptversammlung bestand jedoch aus einem demokratisch gewählten Gremium, das die Interessen der Beschäftigten vertrat. Am 8. April 1921 erfolgte die Eintragung in das Wiener Handelsregister als Österreichische Werke, Gemeinwirtschaftliche Anstalt (ÖWA).
ÖWA produzierte Werkzeugmaschinen und landwirtschaftliche Geräte, Möbel, Fahrzeuge und Waffen. Doch bereits 1922 geriet das Unternehmen in finanzielle Schwierigkeiten. Den Betriebsräten wurde Abgehobenheit und die Verfolgung eigener Interessen vorgeworfen. Managementfehler, Misswirtschaft, Diebstähle durch die Belegschaft und die allgemein schwierige politische und wirtschaftliche Lage der 1920er Jahre taten ihr Übriges und bereits 1925 blieb von ÖWA nur die Maschinenfabrik übrig, Bis 1929 wurde das Unternehmen treuhänderisch liquidiert. Die Konzession für das Waffengewerbe erlosch am 18. November 1929. Am 3. Juli 1934 wurde die ÖWA aus dem Handelsregister gelöscht.
Dieser Artikel widmet sich einem der mindererfolgreichen Produkte des Unternehmens, einer kleinen Selbstladepistole, allgemein bekannt unter dem Namen ÖWA im Kaliber 6,35 mm Browning. Eine größere Version in 7,65 mm Browning existiert ebenfalls. Diese ist jedoch äußerst selten. Laut Protokollen des Beschussamts Wien wurden am 16. Januar 1923 lediglich sieben Waffen beschossen. Es besteht jedoch eine große Ähnlichkeit zur belgischen Armand Gavage Pistole.
Technische Daten der ÖWA-Pistole gemäß Bedienungsanleitung.
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