Helfricht Pistole im Kaliber 6,35 mm Browning
Vorbemerkung
Der Name Helfricht ist in der Region Suhl kein Unbekannter. Sammlern von Colt-Waffen wird der Name Cuno A. Helfricht als Graveur von Colt Single Action Army Revolvern der ersten Generation ein Begriff sein. Und auch eine 1859 gegründete Gewehrfabrik Helfricht und Fischer in Zella-Mehlis I lässt sich nachweisen. In welchem Verwandtschaftsverhältnis nun ein gewisser Hugo Helfricht aus Zella-Mehlis I zu den oben genannten Helfrichts steht, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen. Jedenfalls geht es aber im Folgenden um genau diesen Hugo und die von ihm entwickelte Pistole.
Vor einigen Jahren habe ich dem US-Sammler Bob Adair zu einem Artikel über Helfricht zugearbeitet. Die Ergebnisse meiner damaligen Recherchen, ergänzt um neue Erkenntnisse veröffentliche ich nun an dieser Stelle für das deutsche Publikum.
Geschichte der Helfricht Pistole
Erste Spuren der Helfricht Pistole finden sich 1921. Die Waffenfabrik Heinrich Bader inseriert am 25. August 1921 in der Zeitschrift Der Waffenschmied, dass die neue Automatische Selbstladepistole im Kaliber 6,35 in vier Wochen in den Verkehr gebracht werde und sich Interessenten bereits jetzt melden sollten. Ob die Pistole tatsächlich 1921 auf den Markt kommt ist unklar, denn acht Monate später, am 25. April 1922, erscheint eine identische Anzeige und verweist abermals auf eine vierwöchige Frist bis zur Markteinführung. Eine mit der abgebildeten Pistole identische Waffe mit der seitlich auf dem Verschlussstück angebrachten Nummer ING139 wurde im Auktionshaus Hermann Historica im Juni 2022 versteigert (dort fälschlicherweise als Modell 3 bezeichnet). Es handelt sich um das einzig mir bekannte Belegexemplar einer frühen Helfricht.
Der Grund für die Seltenheit dieser Ausführung findet sich wiederum im Der Waffenschmied. Denn am 25. Juli 1922 erscheint eine Werbeanzeige der Waffenfabrik Alfred Krausser in Zella-Mehlis I , die eine verbesserte Ausführung der Helfricht anbietet. Augenscheinlich ging die Produktion also von Bader an Krausser über oder aber Krausser übernahm die Waffenfabrik Bader. Hier lohnt sich sicher noch etwas Recherche in örtlichen Archiven, Bader und Krausser jedenfalls sind bekannte Büchsenmacher und Waffenhersteller aus Zella-Mehlis.
Die Wortwahl der Werbeanzeige spricht jedenfalls dafür, dass zumindest einige Pistolen unter der Ägide von Bader entstanden und in den Handel gekommen sind.
Von der Waffenfabrik Krausser sind Pistolen mit durchgehender Nummerierung ab Seriennummer 15 bekannt. Diese frühen Waffen weisen bereits eine von der Werbeanzeige (und der bei Hermann Historica versteigerten Pistole) abweichende Sicherung auf. Es handelt sich dabei also schon um die "verbesserte Ausführung" der Helfricht.
Krausser Helfricht Pistolen finden mit Seriennummern bis etwa 3600 in unterschiedlichen Varianten (Modelle). Insgesamt ist die Zahl der produzierten Waffen gering. Entsprechend selten sind die Pistolen auf dem Markt anzutreffen.
Werbeanzeige in Der Waffenschmied vom 25. August 1921 (und 25. April 1922). Die Helfricht Pistole werde in vier Wochen in den Verkehr gebracht. Als Hersteller wird die Waffenfabrik Heinz Bader in Zella-Mehlis I angegeben.
Werbeanzeige in Der Waffenschmied vom 25. Juli 1922. Nun firmiert als Hersteller die Waffenfabrik Alfred Krausser aus Zella-Mehlis I. Eine verbesserte Ausführung der "Helfricht"-Selbstlade-Pistole sei kurzfristig verfügbar.
Patentzeichnung des DRP344833 "Abzugsvorrichtung für selbsttätige Handfeuerwaffen", angemeldet am 14. Juli 1920. Gut sichtbar der Sicherungshebel, wie bei der Helfricht Pistole der Waffenfabrik Bader.
Patentzeichnung des DRP366438 "Selbstladepistole" angemeldet am 21. Oktober 1921. Dieses Patent beschreibt die Verbindung des Verschlussstücks mit dem Griffstück. Diese Pistole hat bereits die später bei Krausser genutzte Sicherung.
Technik und Patente:
Die Konstruktion der Helfricht Pistole ist durch zwei Patente von Hugo Helfricht geschützt:
Der Patentanspruch bezieht sich auf eine Abzugsvorrichtung bei der die als einarmiger Hebel ausgebildete Abzugsstange (24) mit dem freien Ende
gegen einen unter Federspannung stehenden, parallel zur Laufachse angeordneten Abzugsschlitten (21) wirkt, Dieser Abzugsstollen hat an seinem
hinteren Ende eine Rast (28), die den Hammer (19) hält. Wird der Abzug gedrückt, schiebt die Abzugsstange den Schlitten nach hinten, sodass der Hammer freigegeben wird. Aufgrund der Federspannung wird der Abzugsschlitten sogleich wieder in seine Ausgangslage zurück gedrückt, sodass der durch die
Verschlussbewegung zurückgeführte Hammer wieder gefangen wird. Darüber hinaus erstreckt sich der Anspruch auf den Sicherungshebel, der gleichzeitig
den Abzugsschlitten und das Verschlussstück festlegt.
Der Patentanspruch erstreckt sich auf die Art der Befestigung des Verschlussstücks am Griffstück. Die Verbindung des Griffstücks und des Verschlussstücks
erfolgt allein über einen sog. Federbolzen (6). Dieser liegt im Verschlussstück und ist von zwei Federn umgeben (Vorholfeder und Rückstoßfeder). Auf das
Ende des Federbolzens ist eine Kappe (9) aufgeschraubt, gegen die sich die Rückstoßfeder bei zurücklaufendem Verschlussstück abstützt. An seinem
vorderen Ende hat der Federbolzen einen Haken (13), der in eine Aussparung (14) der mit dem Griffstück verbundenen Führungshülse eingreift. Wegen der
Spannung der Rückstoßfeder wird der Haken des Federbolzens fest in die korrespondierende Aussparung gezogen und hält damit das Verschlussstück in
seiner Lage. Will man die Verbindung lösen, so drückt man die Kappe gegen die Rückstoßfeder nach innen und dreht diese um rund 90 Grad. Dadurch wird
die Nase des Federbolzens aus der Aussparung herausgedrückt und verdreht, sodass sie beim Loslassen der Kappe nicht wieder in die Aussparung zurück
gleiten kann.
Die mir vorliegende Helfricht aus Krausser Fertigung ist eine Selbstladepistole mit Masse-Verschluss im Kaliber 6,35 mm Browning. Lauf und Griffstück sind aus einem Stück gefertigt. Der vorne freiliegende Lauf verleiht der Pistole ihr charakteristisches Aussehen. Erst ab dem Modell 4 wird das Verschlussstück so verlängert, dass der Lauf vorne mit dem Verschlussstück abschließt. Oberhalb des Laufs, auf Höhe des Patronenlagers, befindet sich eine Hülse, in der der Federbolzen zur Verbindung mit dem Verschlussstück geführt wird (DRP366438). Das Verschlussstück ist auf dem Griffstück in zwei Schienen über die ganze Länge geführt. An seiner Unterseite befindet sich ein kleiner, nach unten offener Kanal, in dem Schlagbolzen und die Schlagbolzenfeder liegen. Federbolzen, Vorholfeder (Schließfeder) und Rückholfeder sind von außen unsichtbar im Verschlussstück verbaut.
Ungewöhnlich ist das geteilte Auswurffenster. Das Griffstück ist hierzu rechts ausgenommen und am Verschlussstück befindet sich eine korrespondierende Öffnung. Erst wenn sich das Verschlussstück in seiner hinteren Position befindet und die beiden Halböffnungen miteinander fluchten, bildet sich das vollständige Auswurffenster, durch das die leere Hülse ausgeworfen werden kann.
Die Abzugsvorrichtung entspricht nicht dem im DRP344833 beschriebenen Mechanismus. Anstatt eines Schlagstückschlosses ist ein Schlagbolzenschloss verbaut. Dazu verläuft die Abzugsstange auf der rechten Seite unter der Griffschale. Diese greift in den Abzugsschlitten ein. Wird der Abzug betätigt, so schiebt die Abzugsstange den Abzugsschlitten nach hinten, sodass dieser rund 2 mm aus dem Griffstück herausragt. Der Abzugsschlitten schiebt den in einer senkrechten Bohrung sitzenden, gefederten Abzugsstollen nach unten, was dann den Schlagbozen freigibt.
Die Sicherung erfährt bereits mit dem Wechsel der Produktion zu Krausser eine Veränderung und wird im Laufe der Produktion noch mehrmals angepasst. Die bei Bader genutzte Sicherung entspricht in der Lage der des DRP344833 und sperrt gleichzeitig den Abzugsschlitten und das Verschlussstück. Die Achse des Sicherungshebels liegt hinten links am Griffstück.
Bei den Krausser Pistolen verändert sich die Form und Position der Sicherung. Der Sicherungshebel wird verlängert und unterhalb der linken Griffschale hindurch geführt. So ist der Hebel mit dem rechten Daumen gut zu erreichen, ohne dass mit der Schusshand umgegriffen oder eine zweite Hand zur Hilfe genommen werden muss. Der Sicherungshebel ist mittels einer Schlitzschraube unterhalb der Griffschale fixiert und schwenkt um deren Achse. Die Sicherung wirkt weiterhin auf den Abzugsschlitten und sperrt das Verschlussstück mittels eines Hakens in seiner Lage. Im Laufe der Produktion verzichtet Krausser auf diesen Haken. Die Sicherung wirkt allein auf den Abzugsschlitten und lediglich die Form des Hebel wird noch leicht verändert.
In der Stellung "Feuer" wird unterhalb der punzierten Drückerfläche der Sicherung eine Öffnung im Griffstück sichtbar, durch die Schmutz in die Waffe eindringen und zu Funktionsstörungen führen kann - unpraktisch. Der Sinn dieses Lochs erschließt sich nicht. Möglicherweise wollte Krausser damit eine "fühlbare" Sicherungsstellung erreichen.
Der 50 mm lange Lauf hat sechs Züge und einen Rechtsdrall. Das Magazin fasst 6 Patronen. Sehr frühe Pistolen haben punzierte Griffschalen aus Nussbaum. Recht schnell werden jedoch Griffschalen aus Kunststoff genutzt. Links zeigen die Griffschalen das Emblem "KH" im Oval und rechts "Caliber 6,35" im Oval.
Varianten der Helfricht Pistole, abgebildet im Pawlas Pistolenatlas. Pawlas beginnt die Modellbezeichnung mit Modell 2. Die Pistole von Bader mit der ursprünglichen Sicherung ist dort nicht abgebildet. Rechts unten eine Pistole mit Druckknopfsicherung. Ob eine solche Pistole existiert ist unklar. Dem Zeichner jedenfalls ist gerade bei dieser Abbildung auch noch ein Fehler unterlaufen, Denn auf einigen Pistolen (Modell 4) findet sich der Handelsname "Helkra" (Helfricht-Krausser) und nicht "Melkra", wie hier gezeigt. Erkennbar bei den beiden unteren Pistolen ist auch das nach vorne verlängerte Verschlussstück, das nun bündig mit dem Lauf abschließt.
Varianten
Die Varianten der Helfricht Pistolen unterscheiden sich nach der Form der Sicherung, der Schließfederstange und ab dem sog. Modell 4 auch durch eine unterschiedliche Außenkontur. Ursprünglich hatten die Helfricht keine belegbaren Modellbezeichnungen. Erst mit der letzten Variante von Krausser wird auf der linken Waffenseite eine Modellbezeichnung aufgebracht: "Mod. 4". Unklar ist, ob er auch die Pistole von Bader in dieser Abfolge berücksichtigte oder nur die Waffen aus eigener Fertigung als Modelle 1 bis 4 durchnummeriert wurden.
Genau diese Unsicherheit führt nun zu Ablagen in den Modellbezeichnungen, die in Sammlerkreisen und auch im Handel für Verwirrung sorgen.
So gibt es im Pawlas Pistolenatlas keine Abbildung eines Modell 1. Wohl aber muss Pawlas davon ausgegangen sein, dass es ein solches gab, ansonsten hätte er nicht mit der Bezeichnung Modell 2 begonnen. Sollte hier die Helfricht Pistole von Bader stehen?
In Unkenntnis der bei Hermann Historica veräußerten Helfricht von Bader zweifelt Bob Adair an, ob überhaupt Pistolen bei Bader gefertigt wurden und beginnt seine Zählung aufgrund einer Datensammlung von rund 20 Helfricht Pistolen (von Krausser) beim Modell 1. Das führt dazu, dass das bei Pawlas benannte Modell 2 bei Adair zum Modell 1 wird. Das Modell 3 von Pawlas ist Adairs Modell 2. Dafür führt Adair eine leichte Modifikation des Modell 2 als Modell 3 ein. Pawlas kennt diese Variante nicht... Verwirrung perfekt? Stimmt!
Erst beim Modell 4 kommen beide wieder zusammen. Allerdings findet sich wiederum bei Pawlas eine zusätzliche Variante des Modells 4 mit einer Druckknopf- anstatt einer Hebelsicherung.
Sammler von Helfricht Pistolen müssen sich also für eine Nomenklatur entscheiden: Pawlas oder Adair. Historisch belegt ist allein die Bezeichnung "Modell 4".
Nachdem nun doch eine Helfricht von Bader (= Modell 1) in der ursprünglichen Form des DRP 344833 bekannt geworden ist, bevorzuge ich die Zählweise von Pawlas, auch weil sich Adairs Varianten 2 und 3 nur geringfügig voneinander unterscheiden.
Modell 1
Pistole von Bader in der ursprünglich nach DRP344833 patentierten Ausführung mit einem Sicherungshebel, dessen Achse hinten links am Griffstück liegt. Diese Pistolen weisen braune Nussbaumgriffschalen auf. Unklar ist, ob diese Pistole ein Schlagstück- oder ein Schlagbolzenschloss aufweist.
Die genaue Produktionszahl ist unbekannt. Bisher gibt es ein bekanntes Belegstück mit der seitlichen Nummer ING139. Ob es sich hierbei um eine Bezeichnung eines Prototyps, die originale Nummer, eine Inventarisierungsnummer oder um eine nach der Überarbeitung neu vergebene Nummer handelt ist unklar.
Modell 2
Das Modell 2 (Krausser) hat einen verlängerten Sicherungshebel, der unter der linken Griffschale geführt wird und dessen Achse ungefähr in der Mitte unterhalb der Griffschale liegt. Die punzierte Drückerfläche des Hebels liegt nun links neben der Griffschale. Der Sicherungshebel greift weiterhin in den Abzugsstollen und mit einem Haken in das Verschlussstück ein. Bekannte Seriennummern liegen zwischen 15 und 339. Ich gehe also von rund 400 bis 500 hergestellten Pistolen aus. Auf der linken Seite des Griffstücks steht:
PATENT HELFRICHT
Modell 3
Bei dieser Ausführung wird auf den verlängerten Arm des Sicherungshebels verzichtet. Die Sicherung wirkt allein auf den Abzugsstollen und der Hebel liegt nunmehr (bis auf die Drückerfläche) vollständig unter der linken Griffschale verborgen. Sicherungshebel und das Sperrstück, das in den Lauf des Abzugsstollens eingreift, sind getrennt. Spätere Varianten haben einen verlängerten Federbolzen, der nach vorne sichtbar aus dem Verschlussstück nach außen tritt. Die Beschriftung ist identisch zum Modell 2. Bekannte Seriennummern gehen von 587 bis 2102. Es handelt sich damit um die am häufigsten produzierte Variante. Es dürften damit rund 1.600 Pistolen dieses Modells entstanden sein.
Modell 4
Mit dem Modell 4 verändert Krausser die Außenkontur der Pistole. Das Verschlussstück und Griffstück sind nach vorne verlängert und schließen bündig mit dem Lauf ab. Der Sicherungshebel wird in seiner Form verändert und vereinfacht. Das Sperrstück entfällt. Der Sicherungshebel greift nun mit einer Nase unmittelbar in den Lauf des Abzugsstollens ein. Darüber hinaus existiert vermutlich eine Variante des Modell 4 mit einer Druckknopfsicherung. Die seitliche Beschriftung lautet:
Helfricht's Patent Mod. 4
Einige Pistolen zeigen darunter noch den Handelsnamen
Melkra
Zwischen den letzten bekannten Pistolen Modell 3 und den ersten Nummern des Modell 4 klafft eine Lücke von rund 1.000 Pistolen. Für das Modell 4 liegen bekannte Nummern zwischen 3080 und 3615. Konservativ geschätzt gehe ich von 600 bis 700 hergestellten Pistolen aus.
Damit dürften insgesamt nur rund 3.000 Helfricht Pistolen Modell 1 bis 4 entstanden sein. Die Helfricht gehört damit zu den selteneren Taschenpistolen. Ein großer Markterfolg, vielleicht auch wegen des ungewöhnlichen Aussehens, war ihr nicht vergönnt. Dennoch liegen der Helfricht zwei innovative Patente, insbesondere wegen der Verbindung zwischen Griffstück und Verschlussstück zugrunde, sodass die Pistole auch aus technikgeschichtlichen Gesichtspunkten einen Blick wert ist.
Technische Daten
Modell | Länge | Höhe | Breite | Lauflänge | Kaliber | Magazinkapazität |
Modell 1 | unbekannt | unbekannt | unbekannt | unbekannt | 6,35 mm Browning | 6 |
Modell 2* | 111 mm | 85 mm | - | 50 mm | 6,35 mm Browning | 6 |
Modell 3 | 115 mm | 86 mm | 25 mm | 50 mm | 6,35 mm Browning | 6 |
Modell 4* | 107 -113 mm | 85 - 86 mm | - | 47 - 49 mm | 6,35 mm Browning | 6 |
*Angaben gem. Pawlas Pistolenatlas.
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