Anciens Etablissements Pieper, Bayard 1908
Vorbemerkung: Sammlern der von Pistolen der Firma Anciens Etablissements Pieper (AEP) sei das hervorrgande Werk von Michel Druart "BAYARD – Les hommes, les armes et les machines du Chevalier" aus dem Jahr 2004 ans Herz gelegt. Vor einigen Jahren arbeitete ich meinem Sammlerkollegen Ed Buffaloe zu einem Artikel über die Taschenpistole Bayard 1908 zu. Die Ergebnisse meiner damaligen Recherchen fasse ich im nachfolgenden Artikel zusammen.
Der Name Pieper steht in Belgien für eine ganze Waffendynastie. Henri Pieper war Ende des 19. Jahrhunderts der erfolgreichste Waffenhersteller Lüttichs. Zur Einordnung: zu dieser Zeit kam fast die Hälfe der weltweit produzierten Feuerwaffen aus der belgischen Metropole. Henri Pieper besaß die größte Waffenfabrik des Landes und war zudem auch Mitbegründer und größter Anteilseigner von Fabrique Nationale d'Armes de Guerre.
Kurz vor seinem Tod ordnete Henri Pieper 1897 seine Verhältnisse neu, gründete die Société Anonyme des Établissements Pieper und übertrug seinen Söhnen Nicolas, Henri Junior und Edouard Herman (auch bekannt als Armand) das Unternehmen. Nicolas leitete Établissements Pieper, Armand die Laufherstellung im Zweigwerk in Nessonvaux und Henri Junior ein neu gegründetes Elektro-Unternehmen. Die parallel einhergehende Diversifizierung auf Fahrräder, Autos mit Gas- und Elektroantrieb und Elektrizität führte jedoch 1905 in finanzielle Schwierigkeiten. Der Aufsichtsrat der Société Anonyme des Établissements Pieper schasste Nicolas und Armand und es entstand völlig neues Unternehmen in Herstal – die Ancien Etablissements Pieper (AEP) – in dem die bisherigen Waffenwerke zusammengeführt wurden.
Werksgelände der Anciens Etablissemnets Pieper im Jahr 1910
AEP produzierte in der Folge die Bergmann-Bayard Modell 1908, diverse Gewehre und Revolver sowie Luftgewehre bis in die 1950er Jahre. Ebenso fertigte Pieper auch eine überaus erfolgreiche Taschenpistole - das Modell 1908, zunächst im Kaliber 7,65 mm Browning, später in 9mm kurz und 6,35 mm Browning. Spannend an dieser Waffe ist, dass - zum Zeitpunkt der Patentlegung 1906 - sich die beiden letzteren Kaliber gerade erst in der Entwicklung, bzw. noch gar nicht erfunden waren.
Technik und Patente
Bei der Bayard Modell 1908 handelt es sich um eine Selbstladepistole mit Feder-Masse-Verschluss und einem im Griffstück liegenden Schlaghahn. Der Lauf liegt unmittelbar über dem Abzug und ist fest mit dem Griffstück verbunden. Im Verschlusstück hinten befindet sich ein Schlagbolzengehäuse. Die Schließfeder mit einem Führungsstift liegt in einem Federgehäuse im Verschlussstück. Schließfeder und Führungsstift stützen sich in einem Schieber ab, der der Zerlegung der Pistole dient und gleichzeitig das Korn trägt. Der Führungsstift ragt in ein mit dem Griffstück verbundenes Pufferelement ein. Innerhalb dieses Pufferelements befindet sich eine Spiralfeder, die dem Rücklauf der Schließfeder gegenarbeitet.
Die Bayard-Pistole basiert auf dem belgischen Patent Nr. 190623 (GB7237) vom 28. Februar 1906 von Bruno Clarus. Clarus sicherte sich damit die Zerlegemöglichkeit über einen auf dem Federgehäuse liegenden Schieber wie oben beschrieben (Teil e der nebenstehenden Patentzeichnung).
Die Markteinführung der 7,65 mm Browning Bayard-Pistole erfolgte vermutlich im Fruhjahr 1910, was sich anhand diverser Werbeanzeigen in den Zeitschriften Schuss und Waffe bzw. Der Waffenschmied belegen lässt. 1911 folgte die Pistole in 9mm kurz. Das Modell in 6,35 mm Browning kam 1912 heraus. Bemerkenswert ist, dass alle drei Waffen die gleichen Abmessungen haben. Das unterscheidet die Pistole - auch zur Konkurrenz - die das größere Kaliber und den damit verbundenen Rückstoss üblicherweise durch größere Verschlussmasse und Waffenabmessungen wett machten. Hier kommt das oben bereits erwähnte Pufferelement zum tragen. Der zeitgenössische Autor Gerhard Bock schreibt in seinem Buch Moderne Faustfeuerwaffen und ihr Gebrauch im Jahr 1923 hierzu Folgendes: Einer ziemlichen Beliebtheit erfreute sich vor dem Kriege die Taschenpistole "Bayard" der Anciens Etablissements Pieper in Herstal bei Lüttich. Sie war im Kaliber 7,65 mm und 9mm die kleinste und leichteste Taschenpistole und funktionierte recht zuverlässig. Da das Verschlussstück sehr leicht ist, wurde zur Milderung der Anschläge beim Arbeiten des Mechanismus eine besondere Stoßfangeinrichtung vorgesehen. Hinter der Verschlußfeder ist in einem mit dem Griff aus einem Stück bestehenden Gehäuse eine kräftige Pufferfeder angebracht. Diese tritt in Tätigkeit, wenn dir Verschlußfeder fast vollständig zusammengedrückt ist, indem der Führungsstift der Verschlußfeder dann auf den Pufferfederstift stößt. Die Zusammenpressung der Pufferfeder absorbiert den Rest der Rückstoßenergie des Verschlußstücks.
Varianten
Im Zuge der Fertigung kam kleineren Änderungen, wie beispielsweise die Schlittenführung. Frühe Pistolen haben im Inneren des Griffstücks nur eine kurze, durchbrochene Schiene, die das Verschlussstück führt (bis um SN 20000). Späte haben hier eine Schiene, die bis bis zum Ende des Griffstücks führt. Zudem haben frühe Pistolen eine durchgehende Griffschalenschraube und einen Magazinhalter mit zwei Rillen. Spätere Pistolen haben zwei Griffschalenschrauben je Seite und der Magazinhalter hat acht Rillen. Die spätere Pistole ist zudem 2,5 Millimeter länger. Auch ändert sich die Gestaltung der Griffschalen geringfügig.
Die Pistolen sind auf der linken Seite wie folgt markiert:
CAL. 6.35 MODELE DEPOSE
ANCIENS ETABLISSEMENTS PIEPER
HERSTAL-BELGIUM
CAL. 7.65 MODELE DEPOSE
ANCIENS ETABLISSEMENTS PIEPER
HERSTAL-BELGIUM
CAL. 380=9M/M MODELE DEPOSE
ANCIENS ETABLISSEMENTS PIEPER
HERSTAL-BELGIUM
Oben auf dem Verschlussstück steht:
BREVETE S. D. G. D. PATENTED SEPT. 8 1908
Die Bayard-Pistolen blieben bis zum 1. Weltkrieg in Produktion. Nach dem Krieg wurde die Produktion wieder aufgenommen und bis zur Einführung des Modells 1923 weitergeführt. Wie Gerhard Bock schreibt, handelte es sich bei der Bayard-Pistole um eine Waffe mit großer Beliebtheit. Genaue Daten zur hergestellten Stückzahl liegen jedoch nicht vor.
Patentzeichnung GB7237 vom 31. Dezember 1907
Werbeanzeige zur Bayard-Pistole vom 25. März 1910, Der Waffenschmied
Werbeanzeige zur Bayard-Pistole von 25. Januar 1911, Der Waffenschmied
Abmessungen:
Länge | Lauflänge | Höhe | Breite | Gewicht | Magazinkapazität | Seriennummern-bereich | |
7,65 mm Browning | 125 mm | 55 mm | 88 mm | 25 mm | 440-460g | 5 | unbekannt |
9mm kurz | 125 mm | 55 mm | 88 mm | 25 mm | 440-460g | 5 | unbekannt |
6,35 mm Browning | 125 mm | 55 mm | 88 mm | 25 mm | 430 g | 6 | unbekannt |
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