Sauer & Sohn, Modell 1929, in den Diensten der Niederländischen Reederei Stoomvaart Maatschappij Nederland.

Gechichte der Stoomvaart Maatschappij Nederland und Verluste im Zweiten Weltkrieg
Die Reederei Stoomvaart Maatschappij Nederland wurde am 13. Mai 1870 in Amsterdam gegründet und bestand bis 1970. Sie bediente zunächst vornehmlich Passagier- und Frachtverbindungen zwischen den Niederlanden und den Kolonien in Niederländisch-Indien über den neu eröffneten Suez-Kanal. Während des Ersten Weltkriegs kamen Verbindungen zwischen den Kolonien und der West-Küste der USA über Hongkong und Manila hinzu. Nach dem Krieg nahm SMN neue Strecken nach Süd-Amerika und eine wöchentliche Verbindung zwischen den Niederlanden und Java auf.


Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs im September 1939 machte das Navigieren in Nordsee und Atlantik gefährlich. Zu diesem Zeitpunkt bestand die SMN-Flotte aus 33 Schiffen (sechs Passagier-, vier Passagier- und Frachtschiffen und 23 Frachtern). Vier Frachter befanden sich im Bau. Zusätzlich betrieb SMN 15 weitere Schiffe für die niederländische Regierung. 

Mit der deutschen Invasion am 10. Mai 1940 wurden die Schiffe der britischen Schifffahrts- und Transportbehörde übereignet und spätestens nach dem Kriegseintritt der USA im Dezember 1941 vollständig durch die britische Regierung zu Kriegszwecken eingesetzt. So wurde beispielsweise der 1939 in Dienst gestellte Luxus-Liner MS ORANJE II zum Lazarettschiff umgerüstet. Dies hatte jedoch auch zur Folge, dass S.M.N erhebliche Verluste zu beklagen hatte: drei Passagierschiffe, 13 Frachter und acht der für die Regierung betriebenen Schiffe. Hunderte Besatzungsmitglieder und Passagiere verloren ihr Leben.

Die Alliierten statteten die meisten S.M.N.-Schiffe mit Luftabwehrgeschützen, Kanonen, schweren Maschinengewehren und Handwaffen aus, wie aus Inventarlisten des niederländischen Marinearchivs hervorgeht. Teilweise sind die Angaben hierzu sehr detailliert. So war beispielsweise die MS BINTANG mit vier Iver Johnson und zwei S&W Revolvern ausgestattet. Sie wurde im November 1942 durch das deutsche Uboot U-160 versenkt. Zu den meisten Schiffen fehlen jedoch genaue Angaben, aus denen sich auf einzelne Modelle oder gar Seriennummern schließen ließe. Unklar ist zudem, wie viele Waffen auf See verloren gingen, denn leider verzeichnen die Inventarlisten viel zu oft den Eintrag „Lost at Sea“.


1948 nahm die S.M.N. wieder Liniendienste nach Südamerika, Südafrika, in den Persischen Golf und nach Indien auf. 1960 jedoch verbot die indonesische Regierung Schiffen unter niederländischer Flagge den Weiterbetrieb. Die Passagierschiffe funktionierte SMN zu Kreuzfahrtschiffen um. Verbliebene Verbindungen führten nach China, Japan, Neu Guinea, Tahiti, Neukaledonien und Neuseeland, bis die Passagierdienste 1967 vollends eingestellt wurden. Das Frachtgeschäft ging aber weiter. Doch zwangen die zunehmende Containerisierung und der dafür nötige Kapitalbedarf S.M.N. in eine Kooperation mit drei weiteren niederländischen Reedereien, die am 20. Januar 1970 in einem gemeinsamen Unternehmen Nederlandse Scheepvaart Unie aufgingen. Damit war S.M.N. Geschichte.

Bild 2: Inventarliste der MS BINTANG, mit an Bord zwei Steyr Gewehre (SN 3895, 3956), zwei S&W Revolver, vier Iver-Johnson Revolver (SN 98076, 98079, 98289, 98247). Die BINTANG sank am 21.11.1942 vor Trinidad infolge eines Torpedotreffers durch U-160.

Bild 1: Werbeplakat SMN aus dem Jahr 1911

Vorbemerkung
Vor einiger Zeit konnte ich zwei Sauer & Sohn (S&S) Pistolen, Modell 1929, in Augenschein nehmen. Diese tragen die Inventarisierungsnummern 38 und 64 und gehörten vormals zum Bestand der niederländischen Reederei Stoomvaart Maatschappij Nederland (S.M.N.). Wie aus der einschlägigen Literatur zu S&S bekannt ist, handelt es sich bei den mit S.M.N. gemarkten S&S Pistolen um sehr seltene Stücke, da sich nur wenige dieser Waffen in den Diensten der Reederei befanden.


Grundlage dieses Artikels sind unter anderem intensive Recherchen in den Firmenunterlagen der Reederei, die in der niederländischen Nationalbibliothek erfasst sind. Darüber hinaus ist die Geschichte der S.M.N. in der Literatur gut aufgearbeitet.

Ein ausführlicher Artikel zu meinen Forschungsergebnissen ist jüngst im Verbandsmagazin des Verband für Waffentechnik und -geschichte e.V. erschienen. Im Rahmen der Serie Taschenpistole des Monats fasse ich die Ergebnisse hier kurz zusammen.

Bild 3: Verluste an Schiffen der SMN im Zweiten Weltkrieg:  Insgesamt 24 Schiffe.

Neben den menschlichen Tragödien und den vielen Opfern ging vermutlich in den meisten Fällen auch die Bewaffnung an Bord verloren.


Handwaffen der SMN
Zwischen 1920 und 1959 erwarb S.M.N. rund 300 Kurzwaffen verschiedener Hersteller (u.a. Mauser, Arminius, CZ, Unique, FN, Remington, Webley und Colt). Darunter befanden sich auch 71 S&S Pistolen Modell 1929 und ein S&S Behördenmodell, die zwischen 1933 und 1939 in insgesamt vier Tranchen über den niederländischen Großhändler Joh. Munts angeschafft und mit den Nummern 1 bis 72 gekennzeichnet wurden. Die  vorliegende S&S-Pistole mit Nr. 38 stammt aus einem Paket von 48 Pistolen mit fortlaufender Seriennummer 190871 bis 190918 aus 1933. Im Jahr 1936 folgten sechs Modell 1929 mit fortlaufender Seriennummer 216900 bis 216905. In 1937 wurden fünf Modell 1929 mit den Nummern 180163, 181401, 186180, 188717 und 216909 sowie ein Behördenmodell mit Nummer 180417 gekauft. 1939 erwarb S.M.N. letztmalig 12 S&S Modell 1929 mit den Seriennummern 225237 bis 225248, darunter die Waffe Nr. 64. Diese 12 Pistolen wurden bei S&S aus noch vorhandenen Teilen zusammengesetzt, denn die Produktion aller anderen Handwaffen war bereits 1937 zugunsten des Modells 38 beendet worden.

1947 kaufte S.M.N. 20 FN-Pistolen (vmtl. Modell 1910 oder 1922) über Joh. Munts, die die Nummern 73 bis 92 erhielten. 1951 folgte ein Los von 50 gebrauchten FN Pistolen Modell 1922 aus den Beständen des Niederländischen Finanzministeriums, deren Seriennummern ebenfalls bekannt sind, die jedoch lediglich einem S.M.N.-Eigentumsstempel tragen.

Leider ist es nicht möglich die - nahezu vollständig nach Seriennummern bekannten - Kurzwaffen der S.M.N. bestimmten Schiffen zuzuordnen, mit Ausnahmen weniger Waffen, die in Inventarlisten auftauchen. Allerdings ist bekannt, dass die 1947 erworbenen 20 FN-Pistolen (Inventarnummer 73 bis 82 bzw. 83 bis 92) über den Bau der beiden Schiffe MS BALI und MS BORNEO finanziert wurden. Unklar ist, ob dies gängige Praxis war und ob die Pistolen dann auch auf genau diesen Schiffen zum Einsatz kamen. Für die 72 S&S Pistolen konnte somit ebenfalls kein Nachweis erbracht werden. Zwar korrelieren die im Juni 1939 erworbenen 12 S&S Pistolen überraschend gut mit der Auslieferung der beiden Schiffe MS ORANJE II und MS JAVA III, Inventarlisten, die die Nutzung der Pistolen auf diesen Schiffen beweisen würden, konnte ich jedoch bislang nicht ausmachen. Ohnehin ist es sehr unwahrscheinlich, dass sämtliche Kurzwaffen im Bestand der S.M.N. auf Schiffen eingesetzt wurden, da beispielsweise auch das Wachpersonal von Reederei-eigenen Lagerhäusern und Hafenanlagen bewaffnet war. Der nahezu neuwertige Zustand der S&S Pistole Nr. 64 deutet zudem darauf hin, dass diese Waffe keinen exzessiven Gebrauch gesehen haben dürfte.


1965 verkaufte S.M.N. 161 Kurzwaffen (130 Pistolen, 31 Revolver) wieder an Joh. Munts. Unklar ist, ob S.M.N. seinen gesamten Waffenbestand an Joh. Munts abgab. Sollte dem so sein, wären rund 140 Pistolen (kriegsbedingt?) abgängig. Möglicherweise wurden die fehlenden Waffen aber auch anderweitig verwertet. Begünstig wurde die Entscheidung zum Verkauf vermutlich durch eine Änderung des niederländischen Waffenrechts, die den Besitz von Waffen durch private Unternehmen erschwerte. Unter den 161 Kurzwaffen für Munts finden sich auch 47 S&S-Pistolen wieder, der Verbleib von 25 S&S-Pistolen ist also ungeklärt. 1966 verkaufte Joh. Munts die S&S-Pistole mit Nr. 64 an eine Privatperson, bevor sie 1989 wieder an Joh. Munts zurückging und in das Ladengeschäft in Den Haag verbracht wurde. Ab 1990 zirkulierte die Pistole in niederländischen Sammlerkreisen, bevor sie dann 2018 zurück nach Deutschland kam.

Bild 4: Vergleich der beiden Pistolen. Oben Nr. 64, unten Nr. 38. 

Beschreibung der beiden S&S-Pistolen
Die beiden S&S Pistolen 38 und 64 haben grün-braun-marmorierte Griffschalen und einen Spann-Anzeiger in der Mitte der Schlittenschraube (Bild 4). Im Detail finden sich Unterschiede. Die Pistole mit der Inventarnummer 64 hat auf dem Griffrücken eine zusätzliche Schraube („Holländer Schraube“), unter der eine Feder verborgen ist, die Druck auf den Magazinhalter ausübt. Dies wurde ab 1935 auf Anregung des niederländischen Finanzministeriums eingeführt, da bei der Pistole wohl ab und an das Magazin herausfiel. Während Nr. 38 einen Abnahmestempel Krone/R am Abzugsbügel vorne links aufweist, hat Nr. 64 keinen solchen Stempel. Nr. 64 hat eine verstellbare Kimme, während Nr. 38 eine feste Kimme besitzt. Bei Nr. 38 ist der Verweis auf den Importeur Joh. Munts links auf der Verschlusshülse aufgebracht, während dies bei Nr. 64 auf der Oberseite zu finden ist.

Die mit Nr. 64 mitgelieferte Originalverpackung nebst Zubehör ist in Jim Cate und Martin Krauses Buch J.P. SAUER & SOHN, Volume II, auf S. 100 abgebildet (Bild 5). Es handelt sich hierbei um die Schachtel der Marineversion (Pistool M 3) mit Anleitung, Reservemagazin, Bürste und Ölfläschchen. Der Putzstock fehlt. Die Anleitung zeigt das Firmenlogo von Joh. Munts. Der Abschnitt in der Anleitung, der auf die Marine-Kennzeichnung der Waffe mit einem Anker/Krone („Anker met Kroon“) hinweist, ist handschriftlich gestrichen.


Fazit
Nach rund 80 Jahren haben die beiden S&S Pistolen Nr. 38 und Nr. 64 den Weg zurück nach Deutschland gefunden. Davon standen sie 30 Jahre lang im Dienst der S.M.N. Welchen exakten Weg sie dort nahmen, ob sie einem konkreten Schiff zugeordnet waren und wie sie die turbulente und verlustreiche Phase des Zweiten Weltkriegs überstanden haben, bleibt im Verborgenen. Die Sichtung unzähliger Inventarlisten, Schiffsunterlagen und brachte noch kein Ergebnis. Es besteht die vage Hoffnung, dass möglicherweise doch noch Dokumente auftauchen, die auf die Nutzung jeder einzelnen der S&S-Pistolen schließen lassen. Trotzdem ermöglichten die beiden S&S Pistolen einen spannenden Einblick in die Geschichte der S.M.N.

Bild 6: Deckel der Originalschachtel

Bild 5: S&S Modell 1929, Inventarnummer 64, in der Originalschachtel mit Zubehör. 

Technische Daten

Länge

Breite

Höhe

Lauflänge

Gewicht

Patronen

Kaliber

S&S Modell 1929

145 mm

205mm

 100 mm

 76 mm

625 g

7

7,65 mm Browning