Die Pistole weist aber noch eine andere Besonderheit auf. Das Magazin aus Messing-oder Stahlblech wird nach oben durch den geöffneten Verschluss aus dem Magazinschacht entnommen. Dazu muss man nach dem Eindrücken des Magazinhalters das Magazin mit dem Finger von unten duch den Magazinschacht so lange nach oben schieben, bis man es von oben fassen und herausziehen kann. Diese Art der Entnahme findet man auch bei anderen Pistolen von Steyr oder Frommer, sie konnte sich aber nicht durchsetzen.
Patente
Im Kern basiert die Little Tom auf zwei Patenten. Die Österreichische Patentschrift Nr. 36387 unter dem Titel "Selbsttätig wirkende Feuerwaffe mit Spannabzug", ausgegeben am 26. Februar 1909, beschreibt eine Spannabzug-Taschenpistole mit feststehendem Lauf und Masseverschluss. Die Pistole ist gekennzeichnet "durch eine mit dem Hammer verbundene Spannstange, die den Hammer einerseits in der Spann- und Ruhestellung festhält, andererseits in den Spannabzug eingreift und die Wirkung des letzteren durch Zug auf den Hammer überträgt, so daß sich zwischen diesem und dem Abzug ein Abstand ergibt, der die Anordung eines dazwischen einschiebbaren Patronenmagagzins ermöglicht." Auch weist die im Patent beschriebene Pistole eine um den Lauf angeordnete Schließfeder sowie ein von unten einschiebbares Magazin auf.
Das Österreichische Patent Nr. 53261, ausgegeben am 25 April 1912, beschreibt eine Laufbefestigung mittels eines Schwalbenschwanz im Griffstück, die bei den von der WWF gefertigten Pistolen angewandt wurde. Bei diesem Patent verließ Tomischka das Prinzip der um den Lauf angeordneten Schließfeder. Entgegen Patent Nr. 36387 taucht hier das von oben durch den Verschluss einzuführende Magazin auf. Als Begründung für diese eigenwillige Konstruktion wird in der Anleitung ein Sicherheitszugewinn herausgestellt, da zum Entladen zwangsweise immer der Verschluss zu öffnen ist und damit keine Patrone im Lauf vergessen werden kann.
Patentzeichnung aus Österreichischer Patentschrift Nr. 36387, ausgegeben am 26. Februar 1909
Alois Tomischka, Modell Little Tom
Alois Tomischka wurde am 12. Februar 1867 in Pardubitz in Österreich-Ungarn (heute Tschechien) geboren. Tomischka folgte der Tradition seiner Familie und erlernte den Beruf des Büchsenmachers. 1912 tauchte er in einem Patent als Werkmeister der Wiener Waffenfabriksgesellschaft m.b.H. (WWF) auf. Von 1915 bis 1918 arbeitete Tomischka als Werkmeister bei der Österreichische Industriewerke Warchalovski, Eisseler & Co. AG in Wien. Noch 1918 ging er nach zu Skoda nach Pilsen, wo er bis 1920 in der Abteilung für Visiereinrichtungen tätg war. Im April 1920 beteiligte sich Tomischka an der Firma Jihoceská Zbrojovska (Südböhmische Waffenfabrik), fungierte als deren technischer Direktor, aber verließ das Unternehmen wegen Steitigkeiten Mitte 1923. In Pilsen gründete Tomischka 1923 eine eigene Firma, die 1928 Restbestände der WWF aufkaufte. Später arbeitete Tomischka bei den Waffenwerken Brünn (Ceska Zbrojovka) als Konstrukteur. Er starb am 29. Dezember 1946 in Prag.
Bereits 1908 ließ sich Alois Tomischka eine Taschenpistole mit Spannabzug und außenliegendem Hahn patentieren. Diese wurde von 1914 bis 1927 von WWF in einer Gesamtstückzahl von rund 30.000 Stück unter dem Modellnamen "Little Tom" in den Kalibern 6,35 mm Browning und - seltener - in 7,65 mm Browning gefertigt. Doch bereits 1910 hatte Tomischka eine kleine Serie in Ferlach nach den ursprünglichen Patenten von 1908/1909 fertigen lassen, die sich deutlich von den nach dem Ersten Weltkrieg bei WWF und den unter eigenem Namen in Pilsen gefertigten Pistolen unterscheidet. Noch bis 1940 legten einzelne Händler immer wieder Little Tom-Pistolen in Wien zum Beschuss vor, die vermutlich sukzessive aus Restteilen der 1927 aufgelösten WWF gefertigt wurden. Die Little Tom war damit die erste in großen Stückzahlen hergestellte Spannabzugpistole.
Varianten
Während der rund dreizehn Jahre dauernden Fertigung kam es zu zahlreichen kleinen Änderungen. Frühe Little Tom bis 1922 haben linksseitig die Beschriftung:
WIENER WAFFENFABRIK
Die Magazine bestehen großteils aus Stahl, wenige aus Messing.
Ab etwa 1923 ändert sich diese Beschriftung in
WIENER WAFFENFABRIK, PATENT, LITTLE TOM, 635m/m (25)
bzw.
WIENER WAFFENFABRIK, PATENT, LITTLE TOM, 765m/m
Auf der rechten Waffenseite findet sich regelmäßig die Inschrift MADE IN AUSTRIA und die Magazine sind nunmehr durchgängig aus Messing.
Die Griffschalen früher Pistolen weisen entweder rechts oder links ein stilisiertes WWF-Logo oder die Modellbezeichnung LITTLE TOM aus. Spätere Pistolen haben meist nur noch das WWF-Logo. Ebenso finden sich vereinzelt Pistolen mit Holzgriffschalen mit Fischhaut, wobei nicht klar ist, ob diese werksseitig angebracht wurden oder ob es sich um Büchsenmacher-Nachfertigungen handelt. Die Little Tom-Pistole in 7,65 mm Browning weisen durchgängig Holzgriffschalen mit einem eingelegten Messingemblem WWF auf. Von der 6,35 mm Browning Variante finden sich auch Pistolen mit langem Lauf (18 cm) zur Umgehung der Waffenerwerbsscheinpflicht.
1928 kaufte Tomischka einen großen Posten mit Pistolenteilen aus dem Restbestand von WWF auf und fertigte daraus Little Tom-Pistolen in Eigenregie. Es muss aber bereits vorher eine Fertigung, vermutlich aus von der WWF importierten Teilen, gegeben haben, denn es sind entsprechende Pistolen mit Beschussjahr 1924 und 1926 bekannt. Diese tschechischen Waffen haben glatte Holzgriffschalen und teilweise ein Messingmedaillon mit AT-Logo. Auf der rechten Seite tragen sie die Aufschrift
ALOIS TOMISKA - PLZEN.PATENT.LITTLE TOM 6,35mm (.25) oder 7,65 (.32)
Rechtsseitig befindet sich der Schriftzug: MADE IN CZECHO-SLOWAKIA.
Weitere Änderungen betreffen die Form des Abzugsbügel, der bei einigen Modellen langgestreckt oval ist, während andere einen Ei-förmigen Bügel aufweisen.
Auch finden sich zwei unterschiedliche Formen des Abzugszüngels, die entweder stark gebogen oder schwach gekrümmt daher kommen. Frühe Pistolen weisen eine Fischhaut-artige Riffelung des Sicherungshebels auf, während spätere geschnitte Rillen haben. Und schlussendlich unterscheidet sich auch die Zahl der Griffrillen am Verschluss. Frühe Waffen haben 15 etwas tiefer geschnittene Rillen auf einer Länge von 22 mm. Späte Pistolen haben nur noch 14 feine Rillen auf 13mm Länge.
Technische Daten (in Klammern die Daten der 7,65 mm Browning Variante)
Höhe | 83 mm (114 mm) | Kaliber | 6,35 mm Browning (7,65 mm Browning) | Stückzahl | 26.160 (6,35 mm Br) 1.686 (7,65 mm Br) |
Breite | 22 mm (??) | Gewicht | 380 g (615 g) | Seriennummernbereich | 1 - mind. 51300 |
Länge | 114 mm (138 mm) | Magazinkapazität | 6 Patronen (9 Patronen) | ||
Lauflänge | 59 mm (78 mm) | Produktionszeit | 1914 - 1927 (WWF) |
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