Sauer & Sohn, Modell 1919
Vorbemerkung:
Interessierte Sammler von Sauer & Sohn (S&S) Pistolen finden hervorragende Informationen in diversen Fachbüchern. U.a. empfehle ich
J.P.Sauer & Sohn Geschichte der ältesten deutschen Waffenfabrik von Peter Arfmann und Rolf Kallmeyer sowie J.P. Sauer & Sohn von Jim Cate und Martin Krause. Noch recht neu auf dem Markt ist Manfred Kerstens Sauer & Sohn, Suhl, Kurzwaffen. Die in diesem Artikel verwendeten Informationen entstammen diesen Werken sowie umfangreichen eigenen Recherchen und Patentinformationen. Bereits 2013 veröffentlichte ich zu den S&S Pistolen 1913, 1919, 1926, 1930 und Behördenmodell zusammen mit dem dem Fachautor Ed Buffaloe einen umfangreichen Artikel im englischsprachigen Raum. In diesem Artikel geht es um das Modell 1919 im Kaliber 6,35 mm Browning. Es sei der Vollständigkeit darauf hingewiesen, dass S&S die Bezeichnung Modell 1919 nicht nutzte. Die Pistole wurde als Sauer & Sohn Selbstladepistole Kal. 6,35 mm, später als Sauer & Sohn Selbstladepistole Kaliber 6,35 mm großes Modell angeboten.
Geschichte des Modells 1919
Bereits um 1900 hatte Sauer & Sohn (S&S) mit der Roth-Sauer Pistole, dem Reichsrevolver oder der Bär-Pistole Erfahrung im Kurzwaffenbereich sammeln können. Doch erst 1913 präsentierte S&S mit dem Modell 1913 eine eigene Selbstladepistole in dem für Taschenpistolen gängigen Kaliber 7,65 mm Browning; ein Modell in 6,35 mm Browning fehlte im Sortiment. Und so kündigte S&S im Mai 1914 für den Herbst ein Modell im Kaliber 6,35 mm Browning an. Martin Krause gibt hierzu an, dass in den frühen Anleitungen des Modells 1913 sogar bereits die technischen Daten einer Pistole im Kaliber 6,35 mm Browning abgedruckt waren. Diese entsprechen jedoch nicht dem späteren Modell 1919.
Doch die Markteinführung einer Taschenpistole im Kaliber 6,35 mm Browning musste noch warten. Der beginnende Erste Weltkrieg lastete S&S vollständig aus und die zweiwöchentlich erscheinende Zeitschrift Der Waffenschmied vom 25. November 1914 meldete: "Die Revolverfabriken August Menz, Suhl, Friedrich Pickert und August Walter in Zella-St. Blasii, Alfred Schilling in Mehlis, Gewehrfabrik J.F. Sauer & Sohn, Suhl, sind derartig mit Aufträgen versehen, daß Tag und Nacht gearbeitet werden muß."
Nach dem Krieg war die Herstellung von Waffen in Kriegskalibern verboten und die Waffenhersteller suchten nach neuen Betätigungsfeldern. Die Zeit für eine Pistole im Kaliber 6,35 mm Browning war gekommen. Das 1920 eingeführte Modell 1919 war vom Prinzip her eine verkleinerte Version des Modells 1913, technisch jedoch technisch einfacher. Bereits 1924 brachte S&S mit dem Westentaschenmodell (WTM) 1924 (später WTM 1928 und WTM 1933) ein weiteres Pistolenmodell im Kaliber 6,35 mm Browning auf den Markt. Das Modell 1919 wurde fortan als Sauer & Sohn Selbstladepistole Kaliber 6,35 mm großes Modell beworben.
In der Literatur wird verschiedentlich von einem Produktionsende des Modells 1919 im jahr 1928 ausgegangen. Cate und Krause drucken in ihrem Buch ein Schreiben von S&S an die Gustav Genschow GmbH & Co AG (GECO) vom 1. Januar 1929 ab. Hiernach beabsichtigte S&S das große Modell 6,35 mm zu räumen und empfahl daher, dieses nicht mehr in das Preisblatt aufzunehmen. Der Verkauf der WTM und Modell 1919 liefen jedoch weiter und das Modell 1919 wurde mindestens noch bis Dezember 1929 beworben. Ich vermute das Ende des Modells 1919 daher Ende 1929.
Patente, Gebrauchsmuster und Technik
Im Zuge der Entwicklung des Modells 1913 hatte sich S&S eine Reihe von Patenten (DRP) und Gebrauchsmustern (DRGM) gesichert. Nicht alle dieser Patente und Gebrauchsmuster finden sich auch im Modell 1919 wieder. Kern dürfte das DRP 229594 sein. Zu den Gebrauchsmustern liegen keine Inhalte, sondern nur die Titel vor, sodass ich nicht mit Sicherheit sagen kann, welches der Gebrauchsmuster im Modell 1919 konkret umgesetzt wurde.
Zum Patent:
Gebrauchsmuster (DRGM):
Beschreibung
Beim Modell 1919 handelt es sich um eine Selbstladepistole mit Masse-Verschluss und Schlagbolzenschloss im Kaliber 6,35 mm Browning. Die Schließfeder liegt um den mit dem Griffstück verbundenen Lauf. Die Verschlusshülse trägt Korn und Kornstift und wird über den Lauf geschoben. In der Verschlusshülse liegt der Verschlusszylinder mit dem Schlagbolzen. Die Verschlusshülse weist am hinteren Ende ein Gewinde auf, auf das die Verschlussmutter mit Schlagfederstift geschraubt wird. Der Schlagfederstift führt die Schlagbolzenfeder. Die gefederte Kimme auf der Verschlusshülse sichert die Verschlussmutter in ihrer Lage.
Die Abzugstange verläuft innen im Griffstück und greift in den Abzug ein. In gespanntem Zustand drückt der Schlagbolzen unter dem Druck der Schlagbolzenfeder mit seiner unteren Nase gegen die Abzugsstange, sodass diese den Abzug nach vorne drückt (DRP 229594). Der Abzug dient damit als Spannanzeiger.
Oberhalb des Abzugs im Abzugsbügel liegt ein Hebel, mit dem sich die Verschlusshülse zum Zerlegen in der hinteren Position festlegen lässt. Dieser Hebel entfällt im Laufe der Produktion und der Sicherungshebel übernimmt diese Funktion. Die Hebelsicherung wirkt direkt auf den Abzug. Im Laufe der Produktion kommt eine Zusatzsicherung hinzu, die den Sicherungshebel gegen unbeabsichtigtes Verdrehen sichert.
Die Griffschalen sind aus Kunststoff und werden im Griffstück mittels Griffschalenhaltern verspannt. Die von außen sichtbare Schaube der Griffschalen dreht dabei eine Platte, die in senkrechter Position ein Abnehmen der Griffschalen erlaubt und sich in waagrechter Position im Griffstück abstützt. Frühe Griffschalen haben oben ein S&S im Oval, späte Griffschalen haben zwei verschlungene S in einem senkrecht stehenden Oval.
Das Magazin hat seitlich zwei Längsschlitze zur Füllstandskontrolle. Unten links auf dem Magazin steht "S&S 6,35".
Standardmäßig war die Pistole brüniert erhältlich, es sind aber auch wenige werksvernickelte Pistolen bekannt.
Werbeanzeige vom 10. Mai 1914 in Der Waffenschmied. S&S kündigt für den Herbst eine Pistole in 6,35 mm Browning an.
Erste Werbeanzeige zum Modell 1919, Der Waffenschmied vom 25. November 1920.
Werbeanzeige, Der Waffenschmied, vom 20. Februar 1926. Das Modell 1919 wird nun als "großes Modell" angeboten.
Zeichnung zum DRP 229594 zeigt die Spannanzeige über den Abzug.
Varianten
Drei Varianten des Modells 1919 sind bekannt.
1. Variante (Seriennummer 1 bis 30200)
Die 1. Variante weist die oben beschriebenen Merkmale auf. Oberhalb des Abzugs im Abzugsbügel befindet sich der Hebel zum Feststellen der Verschlusshülse. Die Sicherung ist einen einfache Hebelsicherung und die Griffschalen zeigen S&S im Oval.
Oben auf der Verschlusshülse steht:
J.P. SAUER & SOHN, SUHL
Links auf der Hülse steht: PATENT
Rechts findet sich: CAL. 6,35.
Selten sind Pistolen mit einer englischsprachigen Exportbeschriftung
J.P. SAUER & SON, SUHL
Links steht: CAL. 6,35 PATENTED.
Rechts steht: PRUSSIA
Ansonsten tragen Exportwaffen hinten auf der Verschlussmutter: GERMANY
2. Variante (Seriennummer 30200 bis 43000)
Die 2. Variante unterscheidet sich zur 1. Variante lediglich durch die Zusatzsicherung, mit der der Sicherungshebel in seiner Lage gehalten wird. Um den Sicherungshebel zu bewegen, muss zeitgleich ein kleiner Knopf unterhalb der Sicherung eingedrückt werden.
3. Variante (Seriennummer 43000 bis 62500)
Bei der 3. Variante entfällt der Hebel im Abzugsbügel zum Festlegen der Verschlusshülse. Stattdessen erhält der Sicherungshebel eine hakenförmige Nase an seiner Oberseite, die durch eine Aussparung im Griffstück in die Bahn der Verschlusshülse hineinragt. Bei den 7,65 mm Modellen erscheint dieses Detail zuerst beim Modell 1926. Ich gehe davon aus, dass dies weitgehend zeitgleich bei 7,65 mm und 6,35 mm Pistolen eingeführt wurde. Um ein Einschwenken des Sicherungshebels nach oben zu erlauben, wird das Griffstück etwas ausgenommen. Auch verändert S&S bei der 3. Variante die Form des Abzugsbügels, der jetzt an seiner Vorderseite weniger "bauchig" verläuft.
Die Griffschalen zeigen nun das verschlungene S&S im senkrechten Oval.
Das Modell 1919 war in einem eigenen Seriennummernbereich, getrennt vom Modell 1913, nummeriert. Somit dürften rund 62.500 Pistolen des Modells 1919 hergestellt worden sein.
Fazit:
Das Modell 1919 ist eine sehr formschöne und einfache Taschenpistole, die jedoch bereits mit ihrem Erscheinen 1920 aus der Zeit gefallen war. Angesichts der Konkurrenz der vielen keinen Westentaschenpistolen, sogar aus dem eigenen Haus, sind die Produktionszahlen dennoch bemerkenswert. Es zeigt sich hieran, dass es durchaus noch einen Bedarf für mittelgroße Taschenpistolen im Kaliber 6,35 mm gab und nicht jeder Kunde dem "Winzigtrend" verfiel. Ähnlich dürfte auch der Erfolg des Modells 8 von Walther zu erklären sein. Das Modell 1919 sollte jedenfalls in keiner Taschenpistolensammlung fehlen.
Technische Daten
Länge | Lauflänge | Höhe | Breite | Gewicht | Magazinkapazität | Seriennummern-bereich | |
Modell 1919 | 125 mm | 65 mm | 90 mm | 21 mm | 400 g | 6 | 1 bis 62.500 |
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