Technik

Das Modell 1909 im Kaliber 7,65 mm Browning ist konstruktiv weitgehend identisch zur kleineren Pistole in 6,35 mm Browning. Es hat einen feststehendem, kippbarem Lauf und Masseverschluss mit einem einfachen Hahnschloss und innenliegendem Hammer. Die Schließfeder samt Kupplungsstange liegt in einer Bohrung oberhalb des Laufs im Laufgehäuse.

Das Verschlussstücklager ist mittels Schrauben fest mit dem Griffstück verbunden. In ihm gleitet Verschlussstück, das hinten Spannrillen und einen Kimmeneinschnitt aufweist. Im Unterschied zum kleineren 6,35 mm Modell, besitzt die 7,65 mm Variante ind er Grundversion von 1909 an der Rückseite des Verschlussgehäuses einen Spannanzeiger, der deutlich fühlbar hervortritt. An der Unterseite des Verschlussstücks liegt eine Blattfeder, die Druck auf eine Gleitfläche im Griffstück ausübt und damit das Verschlussstück bremst.

Im Griffstück sitzt vorne oberhalb des Abzugs ein federgelagerter Kipphebel, der sogenannte Laufschlüssel, mit dem man das Laufgehäuse löst. Die hinten links am Griffstück befindliche Hebelsicherung wirkt direkt auf den Hahn. Das Magazin fasst sieben Patronen und hat an der Rückseite zwei Kerben. Rastet der Magazinhalter mit seiner Nase in die obere Kerbe ein, so steht das Magazin etwas heraus und der Verschluss kann die Patrone nicht fassen. Die Pistole lässt sich so im Einzelfeuermodus über die Kipplauffunktion schießen.

Griffschalen finden sich in schwarzem Kunststoff mit dem ÖWG-Logo oder dem Schriftzug Steyr sowie in Holz mit Fischhautmuster. Standardmäßig wurde die Pistole brüniert angeboten, doch auch werksvernickelte Waffen sind bekannt. agazine weisen vier oder seltener fünf Sichtlöcher in einer Reihe auf. Spezielle Magazine aus einer Lieferung an das österreichische Militär 1913/14 haben eine Doppelreihe mit sieben Löchern.

Aufgrund der österreichischen Waffengesetzgebung waren auch Pistolen mit einem auf rund 180mm verlängerten Lauf erhältlich. Diese Waffen bedurften keiner Erwerbserlaubnis.


Patente

Wie bereits erwähnt, basiert die Steyr Pistole auf den Patenten von Jean Warnant und Nicolas Pieper. Pieper hatte am 30. Oktober 1905 die Rechte an der Grundkonstruktion von Warnant (belgisches Patent 178535 von 1904) und an einigen Folgepatenten (u.a. britisches Patent 9379 von 1905) erworben. Warnants Patentansprüche beziehen sich dabei auf eine Kipplaufkonstruktion, bei der entweder der Lauf- oder der Verschlussblock um eine Achse gekippt werden kann. Mit dem Modell 1908 führt Pieper eine Pistole mit Kipplauf ein, die vermutlich der lizenzrechtlich ausschlaggebende Vorgänger für die Steyr 1909 war.

Ein weiteres Patent von Jean Warnant (franz. Patent Nr. 11126) aus dem Juni 1909 deckt den gefederten Öffnungsmechanismus für den Laufblock ab.


Auf der linken Seite des Verschlussgehäuses steht:

OESTERR. WAFFENFABRIKS-GES.
STEYR.

Auf der rechten Seite steht:

N. PIEPER PATENT


Frühe Waffen tragen links auf dem Laufgehäuse die Patentnummern:

PAT. № 9379-05. u. № 25025-06


Doch bereits 1910 wird ein weiteres Patent ergänzt:

PAT. № 9379-05. № 25025-06. № 16715-08.


Auf der rechten Seite des Laufgehäuses steht:

PAT.+ № 40335


Die Patentnummern lassen sich wie folgt aufschlüsseln:

  • 9379-05 ist Warnants britisches Patent zur Kipplaufkonstruktion,
  • 25025-06 ist Piepers britisches Patent zum Magazinhalter,
  • 16715-08 ist Piepers britisches Patent zum Schlosswerk (wird erst ab der Erstserie angegeben),
  • 40335 ist Piepers Schweizer Patent zur Pieper Kipplaufpistole.


Varianten

Im Laufe der Produktion unternimmt Steyr zunächst nur geringfügige Anpassungen. So wird bspw. um 1913 optional eine Riemenöse an der Unterseite des Griffstücks ergänzt. Dies zielte vor allem auf polizeiliche und militärische Nutzer ab, um die Pistole mit einem Fangriemen sichern zu können. 

Die so veränderten Pistolen werden in der Literatur auch als Modell 1909/13 bezeichnet. Viele Grundmodelle 1909 wurden nachgerüstet.


1919 verändert Steyr die Griffrillen. Die vormals schräg verlaufenden Rillen stehen nun senkrecht. Die bis 1922 hergestellten rd. 13.000 Pistolen haben alle eine Riemenöse. Mit Auslaufen des britischen Patents № 16715-08 verschwindet der Hinweis darauf vom Laufgehäuse.


1928 wird ein Auszieher angebracht, um die Funktion zu verbessern und bei Hemmungen die Hülse leichter aus dem Lauf zu entfernen. Die Stirnfläche des Laufs zum Verschlussstück wird verändert und mit einer Ausnehmung für den Auszieher ergänzt. Der Ladestandanzeiger entfällt. Die seitliche Beschriftung des Verschlussgehäuses lautet nun: 

OESTERR. WAFFENFABRIKS-GES.
STEYR.MADE IN AUSTRIA.


Der Seriennummer wird ein "P" vorgestellt. 11.000 dieser Pistolen werden hergestellt, bevor 1934 weitere Veränderungen vorgenommen werden.


Mötz/Schuy berichten, dass im Zuge der polizeilichen und militärischen, intensiven Nutzung vermehrt Probleme mit dem Modell 1909/13 auftreten. Der Auszieher war unzureichend gehärtet und nutzte sich rasch ab. Der Unterbrecher wirkte nicht zuverlässig, sodass bei schnellen Schussfolgen, ein Auslösen des Schusses bei nicht vollständig geschlossenem Verschluss möglich war. Magazinlippen deformierten sich leicht und die Magazinfeder verlor rasch an Spannung.

Gravierend war, dass der Verschluss für die gängigen 7,65 mm Browning Patronen etwas zu leicht war, sodass es durch den Anprall des Verschlussstücks am Gehäuse (trotz hölzernem Rückstoßpuffer, später Hartgummi) zu Schäden kam. Im Ergebnis beschaffte die Wiener Polizei eine 7,65 mm Browning Patrone mit rund 20 Prozent niedrigerem Gasdruck. 


1934 wurden daher umfangreiche konstruktive Veränderungen vorgenommen und alte Pistolen sukzessive nachgerüstet. Tatsächlich wurden nach 1934 nur noch in den Jahren 1940 bis 1942 rund 1.000 Pistolen neu hergestellt.

Die konstruktiven Änderungen umfassten beispielsweise folgende Maßnahmen: Der Verschluss wurde verstärkt und sein Gewicht fast verdoppelt. Im Verschlussgehäuse bremste nun eine Pufferfeder den Verschlussrücklauf. Der Auszieher wurde nach innen verlegt und besser gehärtet. Die Griffrillen waren nun breiter und besser zu erreichen. Der Drückerfläche des Sicherungshebels wurde deutlich vergrößert und auch der Kipphebel für den Lauf neu gestaltet. Ebenso wurde die Kimme seitlich verstellbar gemacht.


Die so eingeführten Änderungen erwiesen sich als äußerst robust und die Pistole blieb teilweise bis in die 1960er Jahre im Dienst.


Insgesamt wurden rund 60.000 Steyr Modell 1909 im Kaliber 7,65 mm Browning hergestellt.


Fazit:

Die Steyr 1909 hebt sich mit ihrem Kipplauf von den alles beherrschenden Browning-Konstruktionen ab. Es ist verwunderlich, dass sich die Pistole, trotz der (später dann abgestellten) konstruktiven Schwächen so lange am Markt behaupten konnte. Aufgrund der Nachrüstungsmaßnahmen sind insbesondere die frühen Modelle 1909 und 1909/13 eher selten am Markt anzutreffen.


Zeichnung zum Warnant Patent 9379, vom 4. Mai 1905

Blattfeder des gefederten Laufs eines Modells 1909_34. Die ursprüngliche Pistole wurde 1911 gefertigt und später umgerüstet.

Die Lauf-Stirnfläche früher Steyr 1909 hat V-förmige Gasentlastungskanäle (im Falle eines Zündhütchendurchbläsers). Rechts wurde eine Ausnehmung für den nachgerüsteten Auszieher angebracht, 


Werbeanzeige zur Steyr 1909. Neben einer Pistole im Kaliber 6,35 mm Browning wird auch eine 8-schüssige Ausführung in 7,65 mm Browning angekündigt. Der Waffenschmied, 25. Oktober 1909.

Beim Modell 1934 (rechts) wird ein verstellbares Korn verwendet.

Ab 1913 wird eine Riemenöse angebracht.


Österreichische Waffenfabriks-Gesellschaft Steyr, Modell 1909, Kaliber 7,65 mm Browning


Vorbemerkung: Sammlern österreichischer Taschenpistolen empfehle ich die hervorragenden Bücher von Josef Mötz und Joschi Schuy "Vom Ursprung der Selbstladepistole" (Band 1) und "Weiterentwicklung der Selbstladepistole" (Band 2). Zum Modell 1909 im Kaliber 6,35 mm Browning hatte ich 2022 bereits hier berichtet. 2024 veröffentlichte ich im englischsprachigen Raum zusammen mit meinem US-Kollegen Ed Buffaloe einen umfangreichen Artikel zur Steyr Pistole.

Der nachfolgende Artikel fasst die wesentlichen Erkenntnisse unserer Recherchen zusammen.


Die Österreichische Waffenfabriks-Gesellschaft Steyr entstand aus dem 1864 gegründeten Unternehmen Josef und Franz Werndl & Comp., Waffenfabrik und Sägemühle, das 1869 in die ÖWG Aktiengesellschaft umgewandelt wurde. Bekannt wurde die ÖWG vor allem mit der Gewehrfertigung (Werndl, Kropatschek, Mannlicher, Mannlicher-Schönauer, Schwarzlose MG) und der Produktion zahlreicher Armeepistolen. Mit zeitweise über 15.000 Angestellten gehörte Steyr zu den größten Waffenherstellern Europas. Die Pistolenmodelle von Steyr waren jedoch um 1900 gegen die neu aufkommenden Browning Modelle nicht mehr konkurrenzfähig. 

Steyr hielt Verbindungen nach Belgien, wo sich 1905 Nicolas Pieper mit der Fabrique d'Armes Automatiques Nicolas Pieper in Houtain Saint-Siméon bei Lüttich selbstständig gemacht hatte. Pieper hatte eine Taschenpistole als Kipplaufkonstruktion nach Patenten von Jean Warnant auf den Markt gebracht. Warum also sollte Steyr nicht auf eine bewährte Konstruktion zurückgreifen?

Und so erwarb Steyr 1908 die Rechte an einer solchen Pistole von Pieper und führte bereits ab April 1909 eine eigene Pistole, das Modell 1909, zunächst im Kaliber 6,35 mm Browning ein. Im August des Jahres finden sich dann auch Werbeanzeigen, die eine Pistole im Kaliber 7,65 mm Browning nennen.


Technische Daten


Modell

Länge

Breite

Höhe

Lauflänge

Gewicht

Patronen

Seriennummern

Modell 1909

Modell 1909_13

Modell 1909_34

Modell 1913_34

Modell 1934

167 mm

27 mm

118 mm

 92 mm

680 g bis 690 g

7

1-60.500

Präsentationskassette
Die Präsentationskassette besitzt einen Grundkorpus aus Holz und ist außen mit einem geprägten Leinenstoff bezogen.
Präsentationskassette Innen
Die Kassette ist innen mit einem grünen Stoff ausgeschlagen. Verkäufer war Joh. Springer Erben. Die rund 115 Jahr sieht man der Kassette an.
Steyr 1909 in Kassette
Zugehörig ist ein Modell 1909, hergestellt 1910. Das beiliegende Magazin hat vier Sichtlöcher.
Steyr 1909 links
Ebenfalls ein Modell 1909. Diese Pistolen sind seltener zu finden, da viele Waffen umgerüstet wurden.
Steyr 1909 rechts
Steyr 1909 rechts
Steyr 1909_34
Dieses Modell 1909 aus dem Jahr 1911 wurde später auf das Modell 1909_34 umgerüstet. Die Holzgriffschalen wurden fallweise beim Modell 1909_13 eingeführt. Es ist also möglich, dass diese Pistole sogar zweimal überabeitet wurde.
Modell 1909_34
Diese Waffe wurde wohl intensiv im Holster geführt, was die Abnutzungsspuren an der Griffschale zeigen.