Römer Pistolenbüchse der Römerwerk AG im Kaliber .22 lr
Vorbemerkung: Drop-In Schaftsysteme für moderne Dienstpistolen erfreuen sich großer Beliebtheit, kann man damit schnell das Handling einer kurzen Selbstladebüchse erhalten. Ebenso gibt es Austauschläufe, bspw. für die Walther GSP, die aus der Pistole eine halbautomatische Langwaffe machen: Aus eins mach zwei.
Die Idee dazu ist allerdings nicht neu. Bereits 1925 brachte die Römerwerk AG unter der Bezeichnung "Römer Pistolenbüchse" eine wandlungsfähige Waffe im Kaliber .22 lr auf den Markt. Sie folgte dem Motto: Aus eins mach drei. Denn mittels Austauschläufen und Drop-In Schaft, konnte der Besitzer zwischen einer Taschenpistole, einer Scheibenpistole und einer Repetierbüchse wechseln. Beim Schaft gab es eine sportliche und eine jagdliche Variante. In diesen Tagen feiert die Konstruktion ihren 100-jährigen Geburtstag. Es lohnt ein genauerer Blick auf dieses für die damalige Zeit revolutionäre Prinzip.
Literatur zur Römerwerk Pistolenbüchse ist rar. Im Deutschen Waffenjournal 6/1997 beschrieb Ralph Wilhelm im Artikel "Universalgenie" die Römer Pistolenbüchse technisch, ohne weitergehende historische Details. In zeitgenössischen Quellen, wie der Zeitschrift Der Waffenschmied, finden sich um das Jahr 1925 Werbeanzeigen und Berichte zur Einführung der Pistolenbüchse und zur Römerwerk AG. Darüber hinaus basiert dieser Artikel auf Recherchen in weiteren zeitgenössischen Quellen, Patenten und auf der Untersuchung von Realstücken.
Hintergrund zur Römerwerk AG und Albin Gerstenberger
Die Römerwerk AG wurde um 1923 in Suhl aus der Römerwerk, Waffenfabrik, GmbH gegründet. Der Firmenname war also nicht neu, denn Jacob Römer hatte bereits am 1. Juni 1888 eine Fabrik unter dem Namen Römerwerk gegründet. Die Römerwerk AG produzierte in der Hauptsache Waffenteile, wie Systeme und Schlösser, wie Der Waffenschmied am 8. Mai 1924 berichtet. Neben der reinen Teileproduktion fertigte die Römerwerk AG aber auch ganze Waffen, wie eine Werbeanzeige aus dem Jahr 1925 belegt, in der die Herstellung von Jagdwaffen und diverse Flintenmodelle beworben wird. Im gleichen Jahr erscheint dann auch die Römer Pistolenbüchse.
Die Konstruktion basiert auf einem Patent (DRP 436426) von Albin Gerstenberger. Gerstenberger wurde am 23. April 1887 in Göppersdorf bei Chemnitz geboren und ist vor allem wegen seiner Patente zu Schreckschusswaffen bekannt. Zusammen mit Ernst Moritz gründete er um 1922 in Zella-Mehlis eine Firma für Luftdruckwaffen, Alarm-, Schreckschuss- und Startwaffen sowie Jagdwaffenzubehör. Ab 1927 firmierte diese Firma unter dem Handelszeichen EM-GE.
Gerstenberger hatte damit eigentlich alle Voraussetzungen, um sein Patent selbst in die Tat umzusetzen. Dennoch gab er die Lizenz an die Römerwerk AG weiter, die bis dahin zwar Erfahrung mit Jagdwaffen, nicht aber mit der Herstellung von Selbstladepistolen hatte.

Werbeanzeige in Der Waffenschmied aus dem Jahr 1925.
Am 25. April 1925 erschien in Der Waffenschmied ein halbseitiger Bericht zur Römer Pistolenbüchse, die erstmals auf der Jagdmesse in Leipzig vorgestellt worden war. Die Besucher der Messe "seien sehr zufrieden" und die Konstruktion sei "so eigenartig und interessant, der voraussichtliche Anschaffungspreis unter Berücksichtigung der vielfachen Verwendbarkeit so mäßig, daß es notwendig erscheint, weitere Kreise mit ihr bekannt zu machen", so der Autor.
Weiter berichtet er, dass die Pistolenbüchse als Sport- und Jagdmodell angeboten würde. Beide Modelle hätten einen Druckpunkt und eine bequem liegende Sicherung. Das Sportmodell habe ein Sportvisier und Sportschäftung mit Rillen am Vorderschaft, das jagdliche Modell ein Standvisier für drei Entfernungen und Jagdschäftung mit Backe. Die Römer Pistolenbüchse sei eine durchaus gelungene Neuschöpfung, die großen Anklang finden werde. Den Generalvertrieb habe die Firma G. C. Dornheim A.- G. übernommen.
Die Römerwerk AG startete das Projekt Pistolenbüchse damit in der Hochphase der Taschenpistolen und einer weitgehenden Marktsättigung. Viele Firmen versuchten sich in Taschenpistolen, wenige hatten durchschlagenden Erfolg. Das Idee zu einer Taschenpistole im Kaliber .22 lr war noch nicht reif, die Platzhirsche 6,35 mm Browning und 7,65 mm Browning beherrschten den Markt. Und so kam es, wie es kommen musste: Am 14. April 1929 berichtet Der Waffenschmied, dass "über das Vermögen der Firma Römerwerk, Aktiengesellschaft, Suhl, am 27. März 1929 das Konkursverfahren eröffnet" wurde.
Die Idee der Pistolenbüchse verschwand mit der Römerwerk AG in der Versenkung.
Patent und Technik
Grundlage der Pistolenbüchse ist das DRP 436426 von Albin Gerstenberger Büchse mit Pistolenverschluss vom 14. Oktober 1924, ausgegeben am 1. November 1926. Der Patentanspruch bezieht sich auf auf die Konstruktion eines zweigeteilten Verschlussträgers (Kammer), bestehend aus einer Kammerhülle, Kammerkopf mit Kammerstengel und einer Verbindungsschraube. Die Kammerhülle nimmt das Verschlussstück der Pistole auf und fixiert dieses mittels zweier seitlicher Nuten. Das Verschlussstück der Pistole übernimmt damit die Funktion eines Verschlusskopfs. Der Kammerkopf mit dem Kammerstengel ist drehbar über die Verbindungsschraube mit der Hülle verbunden. Damit kann die Waffe repetiert und die Kammer über den Kammerstengel ver- und entriegelt werden, ohne dass der Verschlusskopf (das Verschlussstück der Pistole) eine Drehung vollziehen muss. Die Selbstladefunktion der Pistole wird damit ausgeschaltet und die Verriegelung erfolgt allein über den Kammerstengel.
Aus waffenrechtlicher Sicht ist dies eine interessante Konstruktion. Denn aus einer Selbstladepistole wird eine Repetierbüchse und anders herum. Oder aber man montiert die Kammer nicht und es entsteht eine Selbstladebüchse. Zwar warnt Ralph Wilhelm davor, die Büchse ohne Kammer zu betreiben, weil Verschlussstück und Büchsenlauf nicht aufeinander abgestimmt seien. Es könne zu Schäden kommen, wenn das Verschlussstück zu früh öffnete, so der Autor. Die Bedienungsanleitung der Römerbüchse sieht eine Selbstladefunktion der Büchse zwar nicht vor, warnt aber auch nicht davor.
Die Wandelfähigkeit der Römer Pistolenbüchse hat zur Folge, dass man die Waffe im Handel in drei möglichen Varianten findet: Als Repetierbüchse (Kat C) mit Austauschläufen, als Selbstladebüchse (Kat B) mit Austauschläufen oder als Selbstladepistole (Kat B) mit Austauschläufen (ggf. zusätzlich noch die Systemhülse und der Verschlussträger des Büchsenlaufs). Letzteres scheint mit Blick auf das Erlaubnisniveau wohl die waffenrechtlich tragfähigste Lösung zu sein. 1925 verschwendete die Römerwerk AG daran sicherlich keinen Gedanken.
Zur Technik: Bei der Taschen- und Scheibenpistole handelt es sich um eine Selbstladepistole mit Masse-Verschluss im Kaliber .22 lr. Der Austauschlauf der Taschenpistole ist 77mm lang, der der Scheibenpistole 180 mm (der Büchsenlauf hat 660 mm). Die Läufe haben 6 Züge und Rechtsdrall. Die Laufbefestigung am Griffstück wird über eine T-förmige Schiene an der Unterscheite der Läufe bewerkstelligt. Diese passt in ein entsprechendes Gegenlager am Griffstück und wird über einen federunterstützten Hebel, den sog. Laufhalter, arretiert. Zum Zerlegen drückt man den Laufhalter mit dem Magazinboden ein und zieht den Lauf nach vorne ab.
Das Verschlussstück der Pistole wird von zwei Führungsnuten auf dem Griffstück geführt. Im oberen Teil des Verschlussstück befinden sich zwei Bohrungen. In der rechten Bohrung liegt die Schließfeder mit einem kurzen Schließfederbolzen, die sich nach hinten an ein Gegenlager am Griffstück abstützt. Gleichzeitig trägt die Verschlussfeder an ihrem vorderen Ende einen schrägen Teller, auf dem die Auszieherkralle angebracht ist.
In der linken Bohrung liegt der federgelagerte Schlagbolzen, der von einem außermittig, links gelegenen Schlagstück angetrieben wird. Der Schlagbolzen übernimmt zudem die Funktion des Ausstoßers, denn durch die Trägheit des Schlagbolzens tritt dieser im der Rückwärtsbewegung des Verschlussstück bis zu 4mm aus seiner Bohrung heraus und drückt damit die Hülse sicher aus der Kralle.
Die Sicherung, als Drehhebel, sitzt hinten links am Griffstück und wirkt auf die auf der linken Seite verlaufende Abzugsstange. Das Magazin fasst 8 Patronen, der Magazinhalter sitzt an der Unterseite des Griffstücks. Die Griffschalen aus schwarzem Kunststoff tragen das verschlungene Kürzel "RW" (Römerwerke). Es finden sich auch Pistolen mit glatten Holzgriffschalen. Ob diese original sind, kann ich nicht sagen. In Werbeanzeigen findet sich die Pistole immer nur mit Kunststoffgriffschalen.
Die Visierung besteht aus einer festen Kimme. Beim Taschenpistolenlauf ist das Korn fix, beim Scheibenpistolenlauf ist das Korn hingegen in Höhe und Seite verstellbar.

Werbeanzeige aus Der Waffenschmied von 10. Juni 1925. Die Pistolenbüchse wird vertrieben durch die C.G. Dornheim AG und war ab Ende Mai 1925 erhältlich.

Zeichnung des DRP 436426. Gut zu erkennen ist die im Gewehrschaft liegende Pistole und die zweiteilige Kammer, die das Verschlussstück der Pistole aufnimmt. Der Kammerkopf mit dem Kammerstengel ist mit einer kräftigen Verbindungsschraube an der Kammerhülle befestigt. Die Drehbewegung des Kammerstengels beim Ver- und Entriegeln folgt damit dem Gewindegang der Schraube.

T-förmige Schiene, an der Unterseite des Laufs, die in eine korrespondierende Ausnehmung des Griffstücks eingeschoben wird. So wird die Verbindung zwischen Lauf und Griffstück hergestellt.
Im Gewehrschaft kommt die Pistole mit dem Griffstück im "Magazinschacht" zu liegen. Der Magazinhalter ist zugänglich, das in der Pistole befindliche Magazin kann somit durch den Schacht entnommen werden. Pistolenabzug und Sicherung werden hingegen durch den Gewehrschaft verdeckt. Der Gewehrabzug ist deswegen mit einer nach vorne laufenden Abzugsstange versehen, die um den Magazinschacht herumgeführt wird und mit einer Abzugsklinke seitlich in den Pistolenabzug eingreift. Auf der Unterseite des Schafts, vor dem Magazinschacht, liegt hierzu der sog. Verschlusshebel. Zum Lösen des Systems aus dem Schaft wird der Verschlusshebel um 90° nach rechts ausgeschwenkt. Innen im Schaft ist der Verschlusshebel mit dem drehbaren Abzugsstangenlager verbunden. Das Abzugsstangenlager greift in die Laufhülse ein und verbindet das System mit dem Schaft. Hinten sitzt das System mit dem Dorn an der Unterseite der Systemhülse in einer Fußplatte. Verriegelt man den Büchsenlauf durch Drehen des Verschlusshebels im Schaft wird gleichzeitig die Abzugsklinke vor den Pistolenabzug eingeschwenkt. Erst damit kann der Druck über die Abzugsstange vom Gewehrabzug auf den Pistolenabzug übertragen werden.
Die Drehhebelsicherung im Gewehrschaft hat eine bis zur Innenseite durchgehende Welle, auf der eine U-förmige Aufnahme sitzt. Beim Einsetzen der Pistole muss dazu der Sicherungshebel der Pistole um 90° nach unten geschwenkt sein. Den Sicherungshebel des Gewehrschafts bringt man in eine korrespondierende Lage. Setzt man die Pistole nun ein, so umgreift die U-förmige Aufnahme den Sicherungshebel der Pistole. Bewegt man nun den Sicherungshebel des Gewehrschafts, dreht dieser den Sicherungshebel der Pistole mit.
Varianten und Beschriftung
Wie bereits vorgestellt, war die Römer Pistolenbüchse als Sport- und als Jagdmodell erhältlich. Beide Modelle verfügen über einen Nussbaumschaft. Am Lauf und hinten am Schaft befinden sich Riemenbügel. Die Schaftkappe besteht aus Stahl.
Das Sportmodell ist etwas leichter als das Jagdmodell (2,6 kg versus 3,2 kg) und hat einen kannelierten Vorderschaft. Der Lauf des Sportmodells trägt ein Schiebevisier mit einem Einstellbereich von 30 bis 200 Metern. Der jagdliche Schaft hat Fischhaut im Griffbereich und eine Backe. Das Visier des Jagdlaufs besteht aus einer einfachen Klappkimme mit drei Entfernungseinstellungen.
Das Verschlussstück der Pistole ist links wie folgt beschriftet:
RÖMERWERK
A.G. SUHL
Auf den Pistolenläufen findet sich links die Kaliberangabe:
Kal. 22
Long rifle
Es finden sich aber auch Pistolen ohne die seitliche Beschriftung RÖMERWERK A.G. SUHL.
Die Beschusszeichen liegen auf der rechten Waffenseite, ebenso wie Seriennummer. Die zugehörigen Läufe sind mit der identischen Seriennummer jeweils auf der Unterseite gekennzeichnet. Beim Büchsenlauf ist auch die Systemhülse und der Verschlussträger mit der Seriennummer versehen.
Seitlich auf der Systemhülse des Büchsenlaufs findet sich ein Verweis auf das Patent:
PATENT GERSTENBERGER - MORITZ
Interessanterweise ist hier auch Ernst Moritz erwähnt, obwohl das Patent nur auf Albin Gerstenberger ausgestellt ist.
Auf dem Lauf, zwischen Patronenlager und Kimmensockel, finden sich die Kaliberbezeichnung, der Hersteller "RÖMERWERK" sowie ein Warenzeichen (RW im Oval).
Zu Produktionszahlen der Römer Pistolenbüchse kann ich wenig sagen. Die höchste mir bekannte Seriennummer liegt um 1200. Man darf davon ausgehen, dass nur eine niedrige vierstellige Zahl Pistolenbüchsen entstanden ist. Entsprechend selten sind sie - dazu noch als vollständiges Set mit allen drei Läufen - am Markt anzutreffen. Sollten Sie Waffe mit einer höheren Seriennummer besitzen, so freue ich mich über Nachricht.
Fazit
Das modulare Konzept der Römer Pistolenbüchse mag aus heutiger Sicht aufgrund zahlenmäßiger Beschränkungen bei Sportschützen und Jägern eine gewisse Berechtigung haben. Im Jahr 1925 - ein einheitliches Waffengesetz erhielt die Weimarer Republik erst 1927 - war dies sicherlich kein ausschlaggebender Grund. Am Ende war die Römer Pistolenbüchse wohl immer nur eine Kompromisslösung.
Für Sammler von Taschenpistolen, Sportpistolen oder Jagdwaffen ist sie sicherlich ein selten zu findendes Kuriosum.
Technische Daten
Länge | Lauflänge | Höhe | Breite | Gewicht | Magazinkapazität | |
Taschenpistole | 133 mm | 77 mm | 83 mm | 21 mm | 375 g | 8 |
Scheibenpistole | 240 mm | 180 mm | 83 mm | 21 mm | 450 g | 8 |
Büchse | 1100 mm | 600 mm | 2,6 kg bzw. 3,2 kg | 8 |
Copyright © All Rights Reserved